Birnbaeume bluehen weiß
eigentlich?«, frage ich.
»Hoch«, sagt Jan. »Ich glaube, das ist der achte Stock. Die Aussicht ist …«
»Ja?«
Jan räuspert sich. »Die Aussicht ist sehr schön.«
Anna seufzt und schluchzt.
»Was ist denn?«, frage ich.
»Ach, Gerson, mein Junge, mein kleiner Liebling.«
»Was für ein Tag ist heute?«
»Dienstag«, sagt Harald.
»Warum sagt mir niemand, dass ich blind bin?«
»Weil sie nicht wissen, wie sie das machen sollen.«
Er redet jedenfalls nicht um den heißen Brei herum.
»Und du?«
»Ich arbeite hier nur.«
»Du hast dafür gesorgt, dass meine Pickel weg sind. Und du hast zu Klaas und Kees gesagt, dass sie mit mir reden und mich küssen sollen.«
»Ja. Das Küssen haben sie sich übrigens selbst ausgedacht. Hast du das gehört?«
»Ich glaube schon.«
Eine Weile ist es still.
»Es ist Abend«, sage ich. »Ich höre nichts. Keine Vögel, kaum Autos, keine Geräusche im Gang.«
»Das stimmt.«
»Arbeitest du Tag und Nacht oder wie?«
»Ich habe Tag- und Nachtdienste.«
»Mir kommt es so vor, als ob du immer hier bist.«
Ich richte mich auf. Meine Brust tut schon weniger weh. Mein Kopf fühlt sich wie ein Apfel an, der gerade geschält wird, aber ohne Messer. Ich weiß, dass Gerard, Klaas und Kees neben mir sitzen und mich ansehen. Ich habe Lust auf Wind, ich will starken, kalten Wind, der mir ins Gesicht und durch die Haare bläst. Einen Moment lang glaube ich, hoffe ich, dass es hell wird, wenn der Arzt den Verband abgenommen hat. Es bleibt dunkel, und ich höre, wie Kees den Atem anhält, so was wäre mir vor anderthalb Wochen nicht aufgefallen.
»Das sieht nicht sehr angenehm aus«, sagt der Arzt. »Wir werden später entscheiden müssen, was wir damit machen. Er bekommt zunächst mal einen kleinen Verband über beide Augen.«
»Sie können mich ruhig duzen«, sage ich. Arrogante Labertasche, mit seinem »wir« und »er«. Ich tue, als wäre alles in bester Ordnung. »Kann mir jemand vielleicht die Haare waschen?«, frage ich so munter wie möglich.
Harald bürstet mein Haar. Warum habe ich früher nie jemanden mein Haar bürsten lassen? Na ja, wer hätte das auch machen sollen? Das ist was für Mütter. Oder einen Krankenpfleger. Gehört das eigentlich zur Arbeit eines Pflegers?
»Und jetzt?«, frage ich.
»Tja«, sagt Harald.
»Ich meine eigentlich, was später?«
»Es gibt sehr viele Dinge, die du auch machen kannst, wenn du blind bist.«
»Zum Beispiel?«
Harald sagt nichts. Er nimmt meine Hand. Es fühlt sich schön an, wenn er mein Haar bürstet, meine Hand hält, mir über die Brust streicht.
»Siehst du«, sage ich.
»Du hast noch Zeit genug, Gerson«, sagt er. »Du entdeckst bestimmt etwas.«
»Kann Daan noch mal kommen?«
»Das werde ich regeln«, sagt Harald.
»Was für einen Tag haben wir heute?« Ich weiß es, aber es ist eine Art Spiel geworden.
Harald versteht das. »Morgen ist Freitag«, sagt er. »Und übermorgen ist Samstag.«
Daan ist da. Ich spüre, dass er ein wenig Angst vor mir hat. Er hat Angst oder findet es unheimlich. »Ich bin ’ s«, flüstere ich ihm ins Ohr. Er leckt mir gleich übers Gesicht.
»Er freut sich«, sagt Klaas.
»Aber er ist auch ein wenig durcheinander«, sagt Kees.
»Er sitzt jeden Abend jaulend vor der Hintertür«, sagt Gerard. »Niemand kann ihn beruhigen.«
»Glaubt ihr, dass Daan in seinem Alter noch was lernen kann?«, frage ich.
»Was soll er denn lernen?«, fragt Kees.
»Er muss lernen, Pfosten und Bäumen und Menschen auszuweichen. Er muss lernen, am Rand des Bürgersteigs stillzustehen und sich hinzusetzen. Solche Sachen.«
»Gerson«, sagt Gerard.
»Ja?«
»Lass uns damit noch eine Weile warten.«
Daan ist mit dem Lecken fertig und legt sich auf meinen Bauch. Das fühlt sich gut an, so ein schwerer, warmer kleiner Hund auf meinem Bauch.
Kann ich eigentlich noch weinen? Sind meine Tränengänge oder Tränendrüsen oder wie das heißt noch intakt? Ich weiß es nicht, ich kann nicht in den Spiegel schauen. Ich kann nie mehr in den Spiegel schauen. Ja, natürlich kann ich das machen, aber ich werde nichts sehen.
»Morgen darfst du nach Hause«, sagt Harald.
»Nach Hause«, sage ich. »Buche«, sage ich danach. »Zeder im Garten.« Mir läuft ein Schauer über den Rücken, als ich an zu Hause denke. »Braune Regentonne.«
»Was erzählst du da?«, fragt Harald. Er streicht mir durchs Haar.
»Das ist zu Hause«, sage ich. »All die Dinge, das ist zu Hause.«
Harald geht aus dem Zimmer.
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