Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Birnbaeume bluehen weiß

Birnbaeume bluehen weiß

Titel: Birnbaeume bluehen weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
Vom Netzwerk:
gesagt, er schaute uns nicht mehr direkt ins Gesicht. Sogar jetzt können wir Wörter wie starren und schauen nicht vermeiden. Wir leben in einer Welt, die zum Sehen gemacht ist, und das merkten wir erst, als Gerson blind wurde.
    Wir versuchten, genau wie er blind tastend unser Glas Cola vom Gartentisch zu nehmen. Mit links, denn rechts war noch immer eingegipst. Nur bei Gerson, weil Kees’ »schöner Bruch« gut verheilt war und er statt Gips jetzt bloß noch eine Art Stützverband um seinen rechten Unterarm trug. Gerard hatte schon seit Wochen keine Fäden mehr im Gesicht, und man musste zweimal hinschauen, um die Narben zu erkennen.
    »Warum werft ihr ständig eure Gläser um?«, fragte Anna.
    »Wir fühlen uns ein«, sagte Klaas.
    »Geht das nicht mit was anderem?«
    »Oder irgendwo anders«, sagte Gerson.

    Seit er zu Hause war, hatte er sich verändert. Im Krankenhaus hatte er Witze gemacht. Als der Verband von seinem Kopf geschält wurde, saßen wir an seinem Bett. Es war scheußlich. Seine wunderbaren grünen Augen hatten sich in … Ja, in was hatten sie sich eigentlich verwandelt? In nichts. »Das sieht nicht sehr angenehm aus«, hatte der Arzt gesagt. Er hätte eigentlich sagen müssen: »Seine Augen sind völlig zerstört, man kann nichts mehr daran ändern.«
    Kees war den ganzen Tag lang übel. Und was sagte Gerson selbst? Erst kam er dem Arzt frech, und danach fragte er ganz locker, ob ihm jemand mal eben die Haare waschen könnte. Sein Wunsch wurde auch nochprompt erfüllt. Eine Krankenschwester, nicht Harald, der war an dem Tag nicht da, schob ihn im Rollstuhl zu dem niedrigen Waschbecken in der Ecke seines Zimmers und wusch ihm die Haare. Mit Shampoo, das nach Äpfeln roch. »Das tut gut«, sagte Gerson, als sie ihm den Kopf mit einem groben Handtuch trocken rubbelte. Wir standen daneben und konnten alle drei kein Wort rausbringen.
    Er redete im Krankenhaus sogar mehr als früher zu Hause. Gerson war nicht so gesprächig. Weil wir das ja schon waren, wie er ab und zu sagte. Das war natürlich Unsinn, er war eben von Natur aus ein stiller, ein wenig grüblerischer Junge. Daran konnte er uns nicht die Schuld geben.

    »Da kommen die Pferde«, sagte Anna. Sie hatte sich auch auf einen Gartenstuhl gesetzt, im Schatten der Zeder. Wir schauten zu den Pferden. Eines rannte vor, die anderen beiden rannten hinter ihm her. Sie zogen scharfe Kurven, und ihre Schweife wehten wild hin und her. Als sie am Graben ankamen, der unseren Garten von der Weide trennt, hielten sie alle gleichzeitig an und blieben stehen, um uns anzusehen. Sie schnaubten und rieben die Köpfe gegeneinander. Es war ein klarer Tag, in der Ferne hinter den Weiden konnten wir die Stadt liegen sehen. Eine Lerche schwang sich höher und höher, bis wir ihren Gesang schließlich nicht mehr hören konnten. An so einem Tag kann es – gerade durch das Geräusch der stampfenden Pferdehufe und einer zwitschernden Lerche in der Ferne – enorm still sein. So still, dass auch die Zeit stillzustehen scheint, wenn man mit geschlossenen Augen in einemGartenstuhl sitzt und die glühende Sonne auf dem Gesicht spürt. In einem solchen Moment hat man nicht das Bedürfnis zu reden. Man hört das Summen einer Biene, die sich auf dem Rand eines Colaglases niederlässt, das leise Rascheln der Blätter. Daan, der zum Graben gelaufen war, als die Pferde angerannt kamen, sich aber nicht traute zu bellen, hatte sich wieder flach auf seine rechte Seite neben Gersons Stuhl gelegt. Er träumte unruhig und fiepte mehrmals leise. Ab und zu wehte der Teergeruch von mit Karbolineum abgedichteten Bohlen zu uns herüber. Man sieht das alles nicht, weil man die Augen geschlossen hat und Geruch nicht sehen kann, aber man weiß, dass es da ist.
    Wir konnten uns vorstellen, dass Gerson sich trotz allem in diesem Moment auf jeden Fall ein bisschen gut gefühlt hat. Vertraute Geräusche, vertraute Gerüche. Vertraute Menschen um ihn herum. Jan und Gerard arbeiteten im Garten vor dem Haus. Der dunkelblaue Wagen stand ungewaschen vor der Auffahrt zum Schuppen. Er war kein Mietwagen mehr, er war jetzt unser Wagen. Das schnodderfarbene Auto hatte Totalschaden, es hatte keinen Sinn mehr, es zu reparieren, meinten die Leute von der Werkstatt. Gerard konnte den dunkelblauen Wagen kaufen, und das hatte er schließlich getan. Aber er hatte ihn noch kein einziges Mal gewaschen.
    »Da gehen sie wieder«, sagte Anna. Die Pferde drehten sich um, als hätten sie alle drei gleichzeitig einen

Weitere Kostenlose Bücher