Birne sucht Helene
Sie glänzte wie ein mit Speckschwarte eingeriebenes Osterei. Charly war darauf aus, Fleisch zu schneiden, es von Sehnen zu befreien, es zu portionieren – und Paul wurde den Eindruck nicht los, dass Charly das rohe Fleisch am liebsten mit bloßen Händen ausgedrückt hätte und das Blut in seinen Rachen fließen lassen.
– Rosemarie: Sie war komplett in Grau gekleidet und schaffte es, vor den Augen aller zu verschwinden – und zum Schatten Julius Eichendorffs zu werden. Sie schrieb alles, was der Meister sagte, fast schon bevor er es sagte, in ein altrosa eingeschlagenes Notizbüchlein.
»Dann sind wir jetzt ja komplett und können loslegen. Zuerst einmal müssen die Hände desinfiziert werden, danach nimmt sich jeder eine Schürze. Die dürfen Sie nach dem Kurs übrigens behalten. Außerdem bekommt jeder ein Handtuch, das so an der Schürze befestigt wird.« Er demonstrierte es. »Soll ich Ihnen helfen, Herr Birnbaum?«, wollte der »Tagesschau«-Sprecher wissen.
Paul schüttelte den Kopf. Doch Rolf lächelte und tat es trotzdem. Paul kam sich vor, als könne er nicht alleine den Hosenlatz zubinden. Und für diese Demütigung zahlte er auch noch über 200 Euro.
Zum Aperitif: Thunfischvariationen
Zu Beginn reichte Julius Eichendorff etwas, das er selbst mit seinem Trupp vorbereitet hatte. »Mit leerem Magen kocht es sich schlecht, deswegen ein paar Kleinigkeiten voraus.«
Es sah ganz unscheinbar aus, wie ein Salzcracker, auf dem, nun ja,grauer Matsch lag, in welchem irgendein Unkraut wuchs. Alle steckten es sich in den Mund. Paul steckte es sich in den Mund.
Booooooooooooooooom.
Was war das denn? Ihm kam es vor, als hätte er das ganze Meer im Mund. Aber nicht die trübe Nordsee, sondern das Wasser einer unberührten, südwestpolynesischen Insel. Die verschiedenen Aromen waren klar wie Laserstrahlen und harmonierten perfekt miteinander. Paul wollte mehr davon, viel mehr. Doch die Platte war bereits leer und die zweite Variation rauschte heran. Diesmal war der Thunfisch gebraten und mit Meersalz besprenkelt, dazu gab es gegrillte Paprika. Die zwei tanzten Tango in Pauls Mund.
Zu jedem dieser Gänge gab es einen passenden Wein. Vor allem das Kraftpaket Charly probierte ausgiebig, wie gut die Weine das Essen ergänzten.
Irgendwann klatschte Eichendorff voller Tatendrang in die Hände. »So, jetzt sind wir gestärkt. Sie können ja alle kochen, deshalb legen wir sofort los.«
Paul spürte kurz den Impuls zu widersprechen, beschloss dann jedoch, sich vor Rolf, Julie und Tristan, Charly sowie Rosemarie nicht bloßzustellen.
»Heute wird Ihnen alles spanisch vorkommen – denn alle Gerichte stammen von der iberischen Halbinsel. Für die Vorspeise verteilen Sie sich bitte an die verschiedenen Küchenstationen. Wer will, kann mit mir die Jakobsmuscheln von Rogen und Muskeln befreien und sie danach anbraten. Mein Sous-Chef Jochen braucht jemanden, um die Macadamianüsse anzurösten und die Melonen in Würfel zu schneiden. FX ist eigentlich unser Maître d’hôtel, doch heute hilft er mal in der Küche aus. Er ist aus Österreich, also seien Sie nachsichtig mit ihm. FX braucht Hilfe bei der Passionsfrucht-Kokoscreme. Und ab geht es!«
Paul konnte sich nicht entscheiden. Wo konnte man sich am wenigsten blamieren? Irgendwie musste Eichendorff sein natürlichesTalent direkt erfasst haben – und teilte ihm die Aufgabe für Saudumme zu. Macadamianüsse rösten und danach kleinhacken. Immerhin durfte er auch die Pak-Choi-Blätter kurz in Olivenöl anbraten. Pak Choi war ihm völlig neu. Den hatte er bisher immer für Jackie Chans Gegenspieler in Sie nannten ihn Knochenbrecher gehalten. Aber es war eine Kohlart. Eichendorff ermunterte seine Schüler, alles auch im rohen Zustand zu probieren, daran zu riechen, zu ertasten, damit man ein Gefühl für die Zutaten bekam.
Pak Choi schmeckte bitter.
Da bekam Paul gar keine Gefühle.
Doch als er später alle Zutaten des Gangs zusammen aß, fügte sich der bittere Ton des Pak Choi perfekt mit dem würzigen der Macadamianuss und dem fruchtig-süßen der Melonenvinaigrette zusammen. Ohne den Pak Choi hätte dem Gericht die Erdung gefehlt, nur mit ihm war alles in der Balance. Dieser Eichendorff wusste tatsächlich, was er kochte. Und Pak Choi war zum Angeben ein Supergemüse.
Zwischengang: Butternuss-Kürbisrisotto mit gebeizter Gänsestopfleber, krossen Haselnüssen und Trüffelschaum
Charly erklärte sich netterweise wieder bereit, den Wein schon mal vorzutesten,
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