Birne sucht Helene
während »Tagesschau«-Sprecher Rolf ihm einen Vortrag über die Rebsorte hielt. Paul hörte gar nicht zu, denn er war völlig fasziniert von Julius Eichendorff. So schwer und unbeweglich der Mann wirkte, so flink und geschickt war er mit seinen großen Händen. Sie flogen über die Lebensmittel, alles sah bei ihm ganz einfach und schwerelos aus. Dabei strahlte er trotz der irren Geschwindigkeit eine große Ruhe aus. Nur einmal wurde er laut – als Julie & Tristan, die das ganze als Vorspiel zu sehen schienen, zu viel vom Butternuss-Kürbis wegwarfen.
»So was kann sich eine Spitzenküche nicht erlauben! Lebensmittelkosten Geld, und nicht nur deshalb sollte man sie mit Respekt behandeln. Schauen Sie sich doch an, was das für eine wunderbare Frucht ist, und was sie für einen weiten Weg zu uns zurückgelegt hat. Doch nicht, um dann im Mülleimer zu landen, oder?«
Rosemarie notierte alles nickend. Sie kochte nicht, war nur stiller Beobachter. Nachdem Eichendorff die Teller dekoriert hatte, aß sie Reiskorn für Reiskorn. Sie sah überhaupt nicht aus, als hätte sie Freude am Genießen. Oder am Leben.
Selbst jetzt dachte Paul an Eli. Hoffentlich erledigte Andy seinen Job ordentlich und fand heraus, ob sie tatsächlich ihren Traummann gefunden hatte. Als er den ersten Bissen des Essens probierte, wusste Paul sofort, dass er dieses Gericht unbedingt für Eli kochen wollte, damit sie das gleiche Glück spüren konnte wie er. Ja, es war tatsächlich Glück, was er da aß, pures Glück in köstlichen Happen. Es war ganz anders als alles, was er bisher gegessen hatte. Es verhielt sich wie Farbfernsehen zu Schwarzweiß.
Hauptgang: Rücken und Schulter vom Lamm mit Ziegenkäseschaum, Tomatenconfit, Artischockensalat und Olivenpolenta
Paul kamen fast die Tränen, als er das Rückenstück sah. Es stammte von einem Lamm, einem Babyschaf. Das konnte er nicht anpacken, geschweige denn essen. Charly, mittlerweile leicht angeschickert, stürzte sich sofort auf die Aufgabe, doch es wäre fast zu einem Streit mit Rolf gekommen, der mit dem extra mitgebrachten Keramikmesser seine Fleischschneidekünste unter Beweis stellen wollte. Paul widmete sich derweil dem Artischockensalat. Es machte ihm richtig Spaß, das Gemüse in der Pfanne anzubraten, zu hören, wie es im Olivenöl brutzelte, zu sehen, wie sich seine Farbe veränderte und vor allem zu riechen, wie sich die Aromen ausbreiteten. Paul schloss die Augen.
»Dasmachen Sie gut so.« Eichendorff stand plötzlich hinter Pauls Rücken. »Sie haben ein Gefühl dafür.«
»Es macht mir richtig Spaß«, sagte Paul, selbst überrascht.
Eichendorff klopfte ihm auf die Schulter. »Das ist das Wichtigste. Ohne Leidenschaft geht nix. Aber wenn ich mir Ihren Bauch so ansehe, essen Sie zu wenig. Wer gut kochen will, muss gut essen. Trauen Sie nie einem dünnen Koch!«
Okay, Schritt eins auf dem Weg zum Spitzenkoch: Wampe anfuttern. Das bekäme er hin. Andy würde ihm sicher gern dabei behilflich sein.
Dessert: Blutorangen-Tarte mit Eis von Pedro Ximénez und Estragonmarzipan
Beim Dessert hatten die meisten der Gruppe schon keine Lust mehr zu kochen und ließen die Küchentruppe arbeiten. Nur Paul nicht, er machte Estragonmarzipan und wunderte sich nicht einmal mehr darüber, herzhafte Küchenkräuter mit süßem Marzipan zu vermählen. Beim Kochen gab es viel weniger Grenzen, als er dachte. Hier war so viel möglich. Es mochte nur angewandte Chemie und Physik sein, doch es fühlte sich an wie Zauberei.
Rosemarie ließ sich während des letzten Gangs ihr Kochbuch von Julius Eichendorff signieren und Nachrichtensprecher Rolf unterschrieb ungefragt mit – was der Guten fast die Tränen in die Augen trieb. Charly hatte vier Weingläser vor sich aufgebaut und probierte, welcher der mittlerweile lauwarmen Tropfen am besten zur Blutorangen-Tarte passte. Eichendorff flüsterte Paul die Lösung zu: »Keiner davon, die sind alle zu trocken. Aber wir wollen ihm ja nicht den Spaß verderben.«
Am Schluss des Tages trug Paul seine Kochschürze mit Stolz. Er hatte mit großen, scharfen Messern hantiert, gegen die jedes Ninja-Schwert wie ein Kinderspielzeug erschien, Blut war von seinenHänden getropft, und er konnte Servietten in Muschelform falten.
Paul fühlte sich wie ein echter Mann.
Nun würde er mit ganzem Herzen kochen können – es war fraglos der richtige Weg, die Liebe seines Lebens zu gewinnen.
Eli dachte wieder einmal an den Morgen zurück, als Roman sie mit dem Fotoalbum
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