Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
Junge geht zur Eingangstür hinaus und steht in der diesigen Hitze. Das Motel liegt sicher eine halbe Meile vom Highway entfernt, aber der Junge kann ihn trotzdem sehen, verschwommen in der dunstigen Ferne; er hört das Heulen der großen Laster. Er hat keine Ahnung, wo sie hier sind. Er hat gedöst und gelesen, bis sie schon fast auf dem Parkplatz waren, und dann sind sie, ohne viel zu reden, gleich auf ihr Zimmer gegangen. Entlang der Straße sieht er in beiden Richtungen Restaurants und Ladenzeilen, dazu einen hohen Wasserturm und ein paar Häuser. Auf den meisten Nummernschildern steht Missouri.
Auf der anderen Straßenseite, neben einem steinernen Häuschen in der Mitte eines kleinen, grasbewachsenen Parks, erspäht er schließlich eine Telefonzelle. Soviel er sehen kann, ist der Park menschenleer. Ein Basketballkorb ist da, ein paar Pferde auf dicken verrosteten Federn – und ein Klettergerüst, so eins aus Stangen und Seilen, wie er es mag. Er schiebt sich zwischen den Autos auf dem Parkplatz durch und rennt dann durch eine Lücke im dichten Verkehr über die Straße. Es ist sehr heiß; schon von dem bisschen Rennen schwitzt er. In dem Steinhäuschen sind Klos, aus denen es herausstinkt, als er an den offenen Eingängen vorbeigeht. An der Wand zwischen den Eingängen ist ein Trinkhahn; der Junge probiert einen Schluck, aber das Wasser ist warm und schmeckt schmutzig.
Dann steckt der Junge seinen Vierteldollar in den Münzschlitz und wählt seine Nummer daheim in Chicago. Eine Automatenstimme meldet sich und will mehr Geld von ihm.
Ein paar Minuten lang sucht er auf dem Gehsteig und im Gras nach Münzen, findet aber nur einen Penny. Er könnte ins Zimmer zurückgehen und das Kleingeld aus der Hose des Mannes holen, aber er ist sich nicht sicher, ob es genug wäre. Insgeheim ist er erleichtert. Sein Atem geht rasch – hatte er wirklich Angst? Wovor? Warum sollte er die Wahrheit nicht wissen wollen? Hat er Angst davor, was passieren könnte, wenn sich herausstellt, dass der Mann lügt?
Viele seiner Empfindungen kommen überraschend für ihn. Er überlegt – nicht zum ersten Mal -, ob er vielleicht verrückt ist. Unterdrückt murmelt er ein paar Schimpfwörter und sieht sich dann um, ob jemand in der Nähe ist. Er ist noch allein.
Er schaut auf seine Armbanduhr, aber es sind erst ein paar Minuten vergangen, seit er aus dem Motel weg ist. Er schlendert zum Klettergerüst und klettert hinauf bis zur Spitze. Er stellt sich vor, er arbeitet auf einem Wolkenkratzer und unter ihm geht es zig Meter in die Tiefe. Seine Handflächen werden so schön schwitzig bei dem Gedanken. Er führt Selbstgespräche, einen Dialog zwischen zwei Bauarbeitern. Er schaukelt an beiden Händen und keucht: Ich schaff’s schon, und der andere Arbeiter sagt: Halt durch! Nicht runterschauen! Nimm meine Hand!
Er geht völlig in seinem Spiel auf, am äußersten Rand der Stangen herumhangelnd. Nach einer Stunde merkt er, dass er pinkeln muss. Er steigt vom Klettergerüst, schaut von dem Motel auf der anderen Straßenseite zu dem Klohäuschen hier im Park und wieder zurück. Der Verkehr ist noch dichter geworden. Er holt tief Luft und marschiert in das stinkende Klo.
Es hat keine Tür, man geht einfach um eine Betonwand herum. Der Junge hasst diese Sorte; jeder könnte um die Ecke kommen und ihn sehen. Er mag es nicht, wenn ihm jemand beim Pinkeln zuschaut – oder vielmehr, er kann überhaupt nicht pinkeln, wenn jemand mit ihm im Raum ist. In diesem Klo gibt es ein Pinkelbecken und zwei Kabinen. Das Becken kommt nicht in Frage, und so, wie es in der Kabine gleich neben dem Becken aussieht und riecht, muss das Klo dort schon seit Tagen verstopft sein; das daneben, in der Ecke, scheint in Ordnung. Er geht hinein und verriegelt die Tür.
Er ist mitten im Pinkeln, da hört er Schritte. Dann räuspert sich jemand, gleich vor der Kabinentür. Der Junge errötet; er spürt, dass sein Gesicht glüht, noch durch den Sonnenbrand durch. Der Strahl versiegt.
Er mag nicht aus der Kabine kommen, wenn irgendwer Fremdes davorsteht, also zieht er sich die kurzen Hosen runter und setzt sich auf die Brille, entschlossen, es auszusitzen.
Der Mann vor der Kabine pfeift ein bisschen. Er wandert auf und ab, und der Junge sieht ausgetretene braune Schuhe und blasse, sockenlose Knöchel, der eine mit einer Schorfkruste daran.
Junge, Junge, sagt der Mann draußen. Seine Stimme ist tief und heiser. Hat man schon so was Verkacktes gesehen. Das stinkt ja zum
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