Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
ein versierter Schmoller.
Eine Weile fahren sie schweigend.
Ich will Polizist werden, sagt der Junge abrupt. Er sieht aus dem Fenster dabei, auf die vorbeiziehenden Felder.
Gegen Abend überqueren sie einen Fluss. Sie fahren jetzt geradewegs nach Westen, mitten hinein in schräge, gleißende Lichtstrahlen, die von einem Punkt direkt über dem Horizont ausgehen und dem Mann Kopfschmerzen machen. Der Mann hat die Nacht eigentlich durchfahren wollen, aber jetzt kommen ihm Zweifel, ob er sich da nicht etwas viel vorgenommen hat.
Er hält bei einem Fast-Food-Restaurant am anderen Flussufer, am Ende der Standspur. Sie gehen hinein und bestellen. Der Mann hält vor der Klotür Wache, während der Junge sein Geschäft verrichtet. Vor dem Restaurant ist ein Spielplatz, momentan kinderleer; er fragt den Jungen, ob er sich dort nicht kurz die Beine vertreten will. Der Junge will nicht. Sein Gesicht ist schlaff und glänzend.
Sie essen im Wagen. Durch die Windschutzscheibe sehen sie die Brücke, die sie gerade überquert haben, und die Dächer der Autos und Laster, die darauf fahren. Der Fluss darunter fließt braun und träge. Die Autos, die nach Westen unterwegs sind, flammen orange in der niedrigstehenden Sonne. Der Mann reibt sich die Schläfen.
Kann ich Mom anrufen?, fragt der Junge.
Nein, heute Abend nicht mehr. Sie weiß, wo wir sind.
Ich will aber mit ihr reden.
Die Stimme des Jungen klingt erstickt. Der Mann blickt auf. Er lässt den Motor an und sagt: Brauchst du noch irgendwas, bevor wir losfahren?
Da ist ein Telefon. Bei der Tür.
Telefone gibt es überall. Musst du sie sprechen?
Der Junge zuckt die Achseln.
Gefällt’s dir nicht?, fragt der Mann.
Mir ist langweilig.
Autofahrten sind manchmal langweilig. Nachts macht es mehr Spaß. Da wird der Wind kühl, und im Radio kommen bessere Songs. Und jetzt dauert es auch nicht mehr lang, dann sind wir in den Bergen.
Ich mag nicht in die Berge.
Aber du hast gesagt, du freust dich drauf. Der Mann legt den Gang ein und stößt aus der Parklücke. Der Junge beobachtet ihn. Vielleicht war’s das ja; vielleicht ist er so müde, dass er beim Thema bleibt. Schiebst du eine Kassette rein?, sagt der Mann. Du darfst aussuchen.
Ich mag aber die Sachen nicht, die du hörst.
Oder Radio?
Sie weiß nicht, dass wir verreist sind, oder?
Der Junge beobachtet ihn unverwandt aus stumpfen, schläfrigen Augen.
Der Mann sagt bedächtig, den Blick auf die Straße gerichtet: Ich hätte eigentlich lieber noch ein bisschen gewartet damit, aber du lässt mir ja keine Wahl. Du lässt ja nicht zu, dass ich dichthalte.
Der Mann fährt auf den Highway auf und steigt aufs Gas.
Na ja, sagt er, deine Mutter ist … deiner Mutter ging es in letzter Zeit nicht so gut. Das hast du ja auch mitgekriegt. Dass sie oft müde war. Und ziemlich erledigt abends.
Der Junge nickt, und in seinen Augen ist jetzt ein neuer Ausdruck.
Sie war beim Arzt. Es ist keine große Sache, aber sie war beunruhigt, und jetzt muss sie ein paar Nächte dort bleiben, und auch wenn das, na ja, etwas ungewohnt für uns beide ist, wollte sie, dass ich ein bisschen mit dir wegfahre. Du hast von den Bergen geredet, und deshalb dachte sie, da könnte ich mit dir hinfahren, während sie sich untersuchen lässt. Sie wollte, dass ich dir erstmal nichts davon sage, damit du dir keine Sorgen machst. Sie will doch, dass du die Reise genießt.
Ich will sie anrufen.
Na ja, das geht nicht so einfach. Sie ist zurzeit nicht daheim.
Der Junge schluckt.
Ist sie – im Krankenhaus?
Der Mann nickt.
Können wir sie da nicht anrufen?, sagt der Junge.
Seine Stimme zittert – aber nur ein klein wenig; er spielt seine Besorgnis herunter. Der Mann möchte ihn in den Arm nehmen. Wie tapfer er ist; dass seine Mutter das nicht sieht! Ständig beklagt sie sich nur, wie schwierig er ist, wie er gegen sie rebelliert. Aber er ist ein Kind, und er hat Kummer, und schau dir an, wie er dagegenhält. Wie er die Zähne zusammenbeißt. Der Mann weiß, die Frage ist nicht, ob man ein anderes Kind auf dem Spielplatz vermöbelt oder selber vermöbelt wird. Und auch nicht, ob man über die eigenen Füße stolpert oder nicht. Der Mann weiß, für Kinder wie für Erwachsene geht es im Grunde ums Dagegenhalten, darum, die Welt so zu nehmen, wie sie ist, und in ihr seinen Mann zu stehen. Manche Leute sind da hoffnungslos – die Mutter des Jungen zum Beispiel, immer nur am Jammern. Der Junge dagegen … Jetzt schiebt er sich das Haar aus den Augen,
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