Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
Könnerschaft beteuerte, seinen Glauben an sich selbst. Das war der Tag, an dem er mir sagte, dass meine Liebe ihn am Leben erhält. Dass er zu mir klettert.
Schließlich wurde er wütend. Er schrie mich an: Willst du nur einen halben Menschen lieben? So bin ich nun einmal. Du wusstest, wie ich bin, als du dich in mich verliebt hast.
Aber mir war nicht klar, was das heißt, sagte ich. Ich wusste es nicht.
Es ist deine Entscheidung, sagte er, und er ging zur Tür hinaus. Entweder du nimmst mich als der, der ich bin, oder gar nicht.
Danach wechselten wir kaum ein Wort, und an dem Wochenende packten er und Hugo ihre Ausrüstung und fuhren ins Gebirge. Und er überlebte den Triglav – und nicht nur das: Er und Hugo kletterten gut, sie eröffneten eine neue Variante. Als Jozef heimkam, umarmte ich ihn und sagte ihm, dass es mir leid tat. Und es war nicht gelogen – ich konnte ohne ihn nicht sein, ganz egal, wie sehr ich an ihm verzweifelte und mich um ihn ängstigte. Zumal Jozef überglücklich war, wieder ganz der Alte.
Ich kann nicht anders sein, als ich bin, sagte er zu mir. Ich kann es nicht, Ani.
Wir liebten uns viele Male in dieser Nacht, und als wir danach beieinanderlagen, sagte er, dass er wieder an den Himalaya dachte.
Jetzt sage ich es Karel: Daraufhin habe ich angefangen, Löcher in seine Kondome zu pieksen.
Karel sieht mich an, sieht wieder hinaus auf die Wiese, rechnet nach.
Er sagt: Du warst schwanger, als Jozef auf den Makalu gegangen ist.
Ja.
Er drückt meine Hand. Es tut mir leid, flüstert er.
Ich dachte, er würde aufhören, sage ich. Aber dann ging es mit den Solos los. Das Kind hat alles nur schlimmer gemacht.
Ich habe zu weinen begonnen und kann nicht weitersprechen. Karel streichelt meine Hand. Ich ziehe ihn zu mir hin.
Und es passiert, es passiert.
Nach ein paar Minuten in seinen Armen höre ich zu weinen auf. Ich sehe Karel ins Gesicht. Sehe, wie seine Lippen nicht so recht wissen, wohin mit sich, sehe ihn hin- und hergerissen zwischen Betroffenheit und Verlangen. Er ist ein so guter Mann – wie sein Bruder es auch wäre, wenn sein Bruder nicht wahnsinnig wäre.
Karels Hände gleiten zu meinen Hüften hinunter, und wir halten einander. Ich nehme seine eine Hand in meine beiden Hände, zwischen seinem Körper und meinem, und drücke sie. Ich liebkose seine Handfläche mit meinen Daumen. Ich bin Haut rau wie Schmirgelpapier gewohnt, Verbandsmull und Magnesia und abgebrochene Nägel. Nicht diese Hand, die mit meinen zu verschmelzen scheint.
Und dann sind wir noch näher beisammen, ich und er, und er berührt mein Gesicht mit all dem Staunen und all der Zartheit, nach der ich mich gesehnt habe. Er beugt sich vor und küsst meine Stirn, sein Bart ein weiches Gefühl an meinem Nasenrücken. Ich schließe die Augen und horche nach Stanes Schritten, die den Weg heraufkommen, aber die Luft ist völlig still, das ganze Tal ohne Laut.
Der Gedanke an meinen Sohn sollte mich abhalten, aber nein: ich schlinge Karel die Arme um die Mitte, hebe mein Gesicht zu seinem auf. Ich bin, scheint es, eine Frau, die in Hörweite ihres Sohnes einen Mann küssen kann, der nicht ihr Ehemann ist.
Karels Gesicht füllt mein Blickfeld aus, seine Hüften liegen eng an meinen. Ich nehme ihm die Brille ab und stecke sie in seine Jackentasche. Meine Hände schlüpfen unter die Jacke, und ich spüre die Glätte seines Rückens unter dem dünnen Hemd. Er küsst gut, heftiger, als ich erwartet hätte. Er legt mir seine große, warme Hand auf den Bauch. Aus meiner Kehle kommen kleine Geräusche, genau wie wenn ich Jozef küsse.
Weil das meine Pflicht ist, versuche ich mir Einhalt zu gebieten, an meinen Mann zu denken:
Jozef tritt auf die Wiese. Er hat den Aufstieg doch abgebrochen, sie haben ihn mit dem Hubschrauber geholt, und hier ist er, frisch heimgekehrt. Er sieht uns. Karel hat die Hände unter meiner Bluse, hinten an meinem Kreuz. Auf Jozefs Gesicht malt sich Schrecken, dann Schmerz, und ich sehe ihm an, was er denkt: Dafür habe ich also gekämpft. Ich bin am Leben geblieben, dafür. Karel küsst meine Kinnlade, gleich unterm Ohr. Jozef ruft: Meine Frau, mein Bruder -
Aber das erscheint zu sehr wie Rache, zu sehr, als würde ich Karel aus Zorn küssen, was ganz und gar nicht der Fall ist.
Also stelle ich mir meinen Mann als Frischverliebten vor: Jozef, zehn Jahre jünger, kommt ins Café. Sein Bart ist zu groß für sein Gesicht, und seine Augenwinkel fälteln sich, als er mich anlächelt – als
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