Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
Vom Netzwerk:
würde er mich erkennen, als wäre er überrascht, ausgerechnet hier eine so alte Freundin wiederzusehen.
    Karel fasst mich fester um die Taille, zieht mich noch dichter an sich heran, bis ich auf den Fußballen stehe. Ich öffne meinen Mund weit an seinem.
    Jozef. Es ist die Nacht nach Stanes Geburt, und ich wache auf, und Jozef sitzt wach in der Ecke; er lächelt mich zärtlich an und fragt, ob ich einen Schluck Wasser möchte. Er hält mir das Glas an die Lippen, und dann küsst er mich und streichelt mein Haar. Ich liebe dich, wispert er und fährt mir mit seinem rauen Finger die Wange entlang. Dich und unseren Sohn.
    Karel schiebt die Hände unter mein Gesäß und hebt mich auf den Felsen. Ich hake die Waden um seine Schenkel. Er drückt den Mund in meinen Blusenausschnitt.
    Liebe mich, sagt Jozef. Solange du mich liebst, kann mir nichts zustoßen.
    Jetzt, in diesem Moment, krallen seine Hände sich um Fels, in seiner Lunge sticht es, sein Mund schmeckt Blut.
    Der Tod dann eben. Denk an den Tod – der Tod hat uns schließlich unseren Freibrief gegeben. Also gut: Jozef, der im Krankenhaus an meinem Hals wimmert. Papas Augen rot vor Kummer und Wut. Und weiter: Gaspars Sarg. Mein Mann, noch im Schock, der am Stock zu ihm hinhumpelt, die Hand auf den Deckel legt, als wäre etwas darunter. Gaspars schmächtige blonde Freundin, die plötzlich aus Dresden angereist kommt, keinen Menschen hier kennt und sich mit ihrem ganzen Schmerz an mich hängt. Wir waren verlobt, sagt sie zu mir, ihre Stimme so dünn, dass jedes einzelne Wort ihr weh tun muss. Wir hatten es noch niemandem erzählt, wir wollten damit warten, bis er zurück ist. Papa sitzt in seinem Sessel, den Kopf in die Hand gestützt, Karels Hände auf seinen Schultern. Jozef auf der anderen Seite des Raums umarmt Bergsteigerkollegen, einige aus Russland hergeflogen, aus Amerika. Auch zwei Sherpas aus Nepal sind da. Die Ehefrauen oder Freundinnen schauen einander nicht an, außer mit raschen Seitenblicken, versehentlichen Wendungen des Kopfes. Da stehen wir und hören die Männer, die wir lieben, einander versichern: Wenigstens ist er bei dem gestorben, was ihm das Liebste war. Ich halte Gaspars deutsches Mädchen im Arm und weiß genau, was sie denkt, was sämtliche Frauen hier denken: Wenn Gaspar bei dem gestorben wäre, was ihm das Liebste war, dann wäre er daheim gestorben; dann wäre er in ihr gestorben. Diese mutigen Männer sind Feiglinge, so sehe ich das. Ich lasse den Blick durchs Zimmer schweifen, leicht betrunken von den Schlucken aus dem Flachmann, den Karel mitgebracht hat, höre an meiner Schulter das Mädchen schniefen und weiß – weiß es plötzlich unumstößlich -, dass dieser Abend nur die Generalprobe ist.
    Mein Mann als Lebender hält mich nicht ab. Aber Jozef tot, verloren – bei dem Gedanken löse ich mich von Karel.
    Die Liebe lässt mich nicht treu bleiben.
    Aber die Scham.
    Entschuldige, sagt Karel heiser.
    Ich schüttle den Kopf und schiebe mich von ihm weg. Nein, sage ich, wütend jetzt. Nein. Das waren wir schließlich beide.
    Er nickt zweimal, schnell, und reibt sich das Kinn, als hätte ich ihm dort weh getan.
    Wir haben uns auf einen Kurs verständigt, aber trotzdem liegt noch eine Wildheit in der Luft, dieses Etwas, das so leicht aufgeflammt ist zwischen uns und sich so schwer wieder vertreiben lässt. Ich gehe bis zum Wiesensaum und wieder zurück, mehr um mich zu beruhigen als aus sonst einem Grund. Karel steht neben den Felsen, die Hände in den Taschen, mit hängenden Schultern. Ich möchte ihm sagen, dass er sich keine Vorwürfe machen soll, aber für den Moment kann ich ihm nicht näherkommen.
    Hinter der Hügelflanke kräuselt sich ein Staubfähnchen: Ein Auto fährt langsam in Richtung Haus. Ich wechsle einen Blick mit Karel. Seite an Seite stehen wir oben am Hang und versuchen zu erkennen, wer es sein könnte – die Straße ist kaum sichtbar von hier, nur an manchen Stellen ahnt man sie zwischen den Bäumen. Die Staubschleppe verliert an Tempo, wallt höher, und für eine Sekunde sehen wir einen Kleinbus mit dem 24ur -Emblem auf der Seite.
    Etwas ist passiert, sage ich.
    Wir eilen den Pfad hinab. Ich versuche mich zu wappnen. Heute ist Gipfeltag, und das ist alles, was die Reporter interessiert; keiner von ihnen denkt daran, dass Jozef, wenn er es denn bis zum Gipfel schafft, immer noch wieder hinuntermuss, halbtot. Aber vielleicht ist ja etwas anderes passiert. Hugo würde die Medien niemals vor mir informieren,

Weitere Kostenlose Bücher