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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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noch mal bei Kim anzurufen.
    Es klingelte viermal, fünfmal. War es, ganz theoretisch nur, denkbar, dass er sie ertappt hatte? Ihr Verhältnis war angespannt in letzter Zeit, und so sicher sich Danny einerseits war, dass sie ihn nicht betrügen würde, hatte doch andererseits diese neue Zögerlichkeit, die er an ihr bemerkte, in seinem Kopf so reichlich Zeit zum Gären gehabt, dass daraus Schreckbilder aller Art gewuchert waren. Er empfand ein irrwitziges Triumphgefühl, als das Telefon immer weiter klingelte. Wenn schon Land unter, dann richtig!
    Doch dann – endlich – meldete Kim sich mit einem krächzenden Hallo.
    Ich bin’s, sagte er. Es ist ziemlich dringend.
    Danny.
    Ja. Kim, hör zu. Du musst bitte aufwachen. Geh in die Küche und schenk dir einen Drink ein.
    Kehliges Lachen. Zu spät, sagte sie. Ich war den ganzen Abend mit Amanda unterwegs. Sie hustete. Hm. Wieso?
    Danny beschloss, nicht nachzuhaken.
    Baby, sagte er, hör zu. Ich bin bei Tom und Brynn. Sie sind tot.
    Was?
    Tom und Brynn. Autounfall.
    Kim sagte nichts, also redete Danny weiter.
    Mein Name war in Toms Brieftasche. Ich musste ihre Leichen identifizieren.
    Die Worte wollten nicht in einem Stück herauskommen, und Danny merkte, dass er zitterte. Er trank noch einen Schluck und ließ den Whiskey ein Weilchen in Mund und Nase brennen, bevor er die Kiefer lockerließ. Er konnte Kim atmen hören, ein schnelles Atmen, vielleicht weinte sie. Sie sollte weinen – wenn sie weinte, durfte er es auch. Er lehnte die Stirn an die kühle gelbe Wand. Er und Tom hatten die Küche zusammen gestrichen, an einem Wochenende letztes Jahr, als Brynn mit Colin ihre Eltern besuchte. Das war das letzte Mal gewesen, dass er und Tom einen draufgemacht hatten wie früher, mit Biertrinken, Grillen, Sportgucken und den Actionvideos, die sonst wegen Colin tabu waren. Schwelgen und prassen, hatten sie immer wieder gesagt, während sie bis in den frühen Samstagmorgen hinein strichen, um das restliche Wochenende freizuhaben. Im Lauf der Zeit war ein Sprechgesang daraus geworden: Schwel-gen-und-pras-sen-schwelgen-und-pras-sen. Um vier Uhr morgens hatten sie Rippchen gegrillt und als Frühstück gegessen. Hier drin war das gewesen, in dieser Küche.
    Ich hab’s Tom versprochen, sagte er zu Kim. Ich muss Colin zu mir nehmen.
    Und endlich begriff sie. O Gott, sagte sie.
    Du musst herkommen. Bitte.
    Hmm, machte Kim, und er konnte sie herumtasten hören, wahrscheinlich nach ihrer kleinen Katzenbrille. Bist du bei ihnen im Haus?
    Ja.
    Er hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete. Eigentlich versuchte sie aufzuhören. Aber Danny versuchte ja eigentlich auch, weniger zu trinken.
    Okay, sagte sie. Okay. Ich zieh mir nur schnell was an.
    Weißt du, wie du hier -
    Lieber Gott. Ein Autounfall? Wie ist das passiert?
    Weiß man nicht. Sie sind irgendwie auf die Gegenfahrbahn gekommen. Frontal in einen Sattelschlepper rein.
    Hatten sie getrunken?
    Er wollte schon ärgerlich werden – was für eine Frage war das denn? Aber Tom und Brynn waren auf dem Heimweg von einem Abendessen gewesen. Sie hatten wahrscheinlich beide Wein getrunken. Danny hatte die Polizei gefragt, wie es passiert war, und von Alkohol war nicht die Rede gewesen.
    Weiß ich nicht, sagte er. Eher nicht.
    Kim fragte: Ist Colin wach?
    Noch nicht.
    Was willst du ihm sagen?
    Kim … Jetzt weinte er richtig. Komm einfach her, ja?
    Ja. Es – ja. Ich fahr sofort los.
    Ist gut. Ich liebe dich.
    Im Augenblick, in dem er es sagte, legte sie auf.
    Worauf es vorbei war mit Dannys Beherrschung; eine geschlagene Viertelstunde heulte er Rotz und Wasser, auf dem Fußboden hockend zwischen zerkrümelten Frühstücksflocken und – er konnte unter die Mikrowelle sehen – zwei roten Klötzchen, Duplo-Steinen. Er wusste nicht, wann er je zuvor so geweint hatte, außer vielleicht irgendwann im College, als er zugedröhnt und einsam war. Aber nicht – nie, weil jemand gestorben war, nie aus Trauer. Er drückte sich die Hände in den Mund. Alles, nur nicht diese schrecklichen Laute.
    Alles, dass nur Colin nicht wach wurde.
     
    Tom hatte es Danny schon angetragen, als Colin noch ein Säugling war. Sie hatten sogar ihre Witze darüber gemacht.
    Womit hat der Arme das verdient, hatte Danny gefragt: mich als Paten?
    Tom grinste und wendete ihre Steaks auf dem Grill, bevor er einen Schritt zurücktrat, eine Hand in der Tasche seiner ausgebeulten Shorts, den Bauch über den Bund herausgeschoben. Bis vor einem Jahr hatte er sich fit

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