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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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schlüpfte unter die Decke. Sie betrachtete ihre Arme auf dem Laken: blass, mit vereinzelten Leberflecken gesprenkelt. Ihre eine Narbe lief schräg den Arm hinauf und um das Handgelenk. Sie hatten ihr die Fetzen von Bryans geschmolzener Jacke von der Haut ziehen müssen wie einen Rest Karamell, der am Bonbonpapier festklebt.
    Sie war ein schrecklicher Mensch. Wie kam sie dazu, wegen irgendetwas unzufrieden zu sein? Sie hatte keine so schlimmen Narben wie Bryan; Bryan hatte keine so schlimmen Narben wie die Frau, die er aus dem Auto gezogen hatte, die grauenhaft anzuschauen war. Und die Frau war am Leben – ihr Mann war es nicht.
    Die arme betrunkene April hatte schon Recht gehabt: Dana hatte Glück.
    Aber sie dachte trotzdem an Jimmy, an die Karte, die er ihr zugesteckt hatte. Sie spürte seinen Kuss wieder, seine Hand auf ihrem Gesäß. Und sie dachte – sie war machtlos dagegen – an seinen glatten, muskulösen Bauch. An nackte, narbenlose Haut unter ihren Händen. Er würde schnell sein, rücksichtslos. Er würde ihr nicht sagen, dass er sie liebte. Aber es würde gut sein mit ihm. Vor ihrem inneren Auge sah sie April, den Rücken durchgebogen, Jimmys blonder Schopf zwischen ihren Schenkeln auf- und niedertauchend.
     
    Um halb vier kam Bryan nach Hause. Dana stellte sich schlafend und hörte, wie er sich vorsichtig im Dunkeln auszog, vorsichtig zu ihr ins Bett schlüpfte. Sein Arm stahl sich um ihre Taille. Sie spürte einen sanften Kuss auf ihrer Schulter. Er leistete immer noch Abbitte.
    Weck mich auf, dachte sie. Berühr mich.
    Aber das tat er nicht. Er kuschelte sich an sie, und bald schnarchte er, sein Arm schlaff und schwer über ihrer Hüfte.
    Im Krankenhaus in Denver hatte Dana durchgesetzt, dass sie bei Bryan bleiben durfte, nachdem die Ärzte seine Wunden gereinigt und verbunden hatten. Ausgeschlossen, hieß es erst, aber einer der Sanitäter, der sie hergebracht hatte, hatte die Geschichte erzählt, so dass bald alle wussten: Dieser Patient war ein Held. Dana hörte das Getuschel der Schwestern. Dana, selber verbunden, weigerte sich, Bryans gesunde Hand loszulassen. Sein rechter Arm war bis zur Schulter dick einbandagiert. Sein Haar war auf einer Seite weggesengt, seine rechte Wange voller Flecken und Blasen. Er stank. Eine Schwester legte Dana die Hand auf die Schulter und sagte: Er wird bald einschlafen. Wir sedieren ihn.
    Kann ich nicht wenigstens dableiben, bis er schläft?, fragte Dana.
    Bryan starrte sie mit glasigem Blick an und murmelte unverständliches Zeug – die Mittel begannen bereits zu wirken.
    Ein gedehnter Seufzer, und dann sagte die Schwester: Na gut. Sie raschelte in dem dunklen Zimmer herum. Bryan schloss die Augen und stieß einen langen, pfeifenden Atemzug aus.
    Dana bemerkte auf einmal, dass die Schwester sie hoffnungsvoll anlächelte.
    Stimmt das wirklich?, wollte die Schwester wissen. Hat er das wirklich getan?
    Ja, sagte Dana. Sie war nicht weiter überrascht, als die Schwester sie umarmte.
    Nachdem die Schwester gegangen war, beugte Dana sich vor und küsste Bryan, drückte den Mund sanft und behutsam auf seine geschwollenen Lippen. Bryan murmelte wieder etwas. Sein Atem ging so sacht, dass sie ganz still sitzen musste, um ihn zu spüren. Sie zog das Laken von seinem heilen Arm weg und strich mit den Fingern darüber. Sie flüsterte ihm zu, dass sie ihn liebte. Sie erzählte ihm von der Hochzeit, die sie feiern würden, wisperte ihm die Namen der Kinder ins Ohr, die sie bekommen würden. Sie ließ sich alles durchgehen, sämtliche Träume, die sie je zu träumen gewagt hatte.
    Als das Auto zu brennen begann, hatten sie und Bryan jeder Zeit für eine Entscheidung gehabt, einen Gedanken. Eine Sekunde, und Bryan war vorwärtsgestürzt; er hatte der Frau das Leben gerettet. Solch ein Mensch war Bryan. Dana hatte über all dies nachgedacht, während sie an seinem Bett saß, ihre Hand auf Bryans Handgelenk, ihr Mund nahe an seinem Ohr – auch darüber, was für ein Mensch sie selbst war. Ihr war es gleich gewesen, ob die Frau in dem Auto lebte oder starb. Ihr ganzes Denken, ihr ganzes restliches Leben hatte sich an Bryan geheftet, war ihm zweimal in das brennende Auto gefolgt, bis ihre Zukunft davon abhing, ob er es wieder herausschaffte. Und er hatte es geschafft.
    Aber was war vorhin passiert, mit Jimmy? Was für eine Entscheidung hatte Dana da getroffen? Sie hatte Jimmy geküsst, hatte ihn weggestoßen, hatte seine Karte behalten, ohne dass irgendeine dieser Handlungen

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