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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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einer bewussten Überlegung zu entspringen schien.
    Sie dachte an Jimmys Nummer, zusammengeknüllt auf dem Boden ihrer Handtasche. An seine straffen Bauchmuskeln unter ihrer Handfläche. An den Blick, mit dem er sie angeschaut hatte.
    Langsam, aber sicher fiel es ihr wieder ein: Etwas hatte doch noch Platz in ihr gehabt, als das Feuer ausbrach.
    Ihr Herz war Bryan nachgefolgt, ja … aber unmittelbar davor, einen endlosen Augenblick lang, hatte sie an nichts gedacht, nichts gesehen als die Flammen. Die Flammen, hervorblühend aus dem Unterboden des Wagens: tiefschwarz, dann ein betörendes, tänzelndes Blau, dann loderndes Orange.
    Und sie war die Art Frau, die sich davon mitreißen ließ, deren Körper sich wiegte zu ihrem Züngeln. Weil sie so seltsam waren, so schön. Weil Dana in diesem Wind, dieser bitteren Kälte, so dankbar gewesen war für ihre Wärme.

Rückhaltlos
     

I.
     
    Eine Stunde, nachdem sie das Blockhaus aufgebrochen haben, sitzt Brad mit Mel auf den Bohlen der Veranda, einen Arm um ihre Schultern gelegt, und schaut über den windgekräuselten See – Hummingbird Lake? Gopher Lake? Sie haben den Namen auf der Fahrt hierher auf einem Schild gelesen, aber jetzt kann sich keiner von ihnen erinnern, auch Mel nicht, die schließlich schon hier war. Wie immer er heißt, ein besonders großer See ist es nicht: vielleicht eine Viertelmeile in der Breite und ein klein bisschen mehr in der Länge, seine Ufer zugewuchert von Schilfkolben. Eine bloße Pfütze, verglichen mit dem Lake Superior zehn Meilen weiter nördlich. Ziemlich hässlich eigentlich, denkt Brad. Aber ungestört. Ihr Privatsee.
    Lake Inferior, sagt Mel und beschirmt die Augen mit der Hand. Armer kleiner Micker-See.
    Jetzt hat er ja uns, sagt Brad.
    Das Blockhaus hinter ihnen ist auch mickrig. Eigentlich ist es gar kein richtiges Blockhaus, mehr eine Fischerhütte, zwei Räume nebeneinander, ohne Strom oder fließend Wasser, nicht mal ein Kamin – als sie das letzte Mal hier war, hat Mel ihm erzählt, stand noch ein Generator in dem kleinen Schuppen hinter der Hütte, aber der ist jetzt weg. Die einzigen Möbel sind ein Klapptisch, zwei Metallstühle und ein schmales Feldbett, zusammengeklappt um eine dünne, angeschimmelte Matratze. Nicht gerade das Liebesnest, das sich Brad die ganze Herfahrt über ausgemalt hat.
    Aber eine geruhsame Stunde mit Mel auf der Veranda, vor ihnen das sonnenglitzernde Wasser des Sees, Kiefernduft in der Luft, hat seine Enttäuschung weitgehend vertrieben, etwas von dem Hochgefühl wiederaufsprudeln lassen, das ihn überhaupt erst darauf gebracht hat, hierherzufahren. Immerhin sind Mel und er noch zusammen, und sie sind allein.
    Mann, sagt er, wär doch irgendwie stark, hier zu wohnen.
    Schön friedlich, sagt Mel, dann rutscht sie noch ein Stück näher. Aber wir bräuchten definitiv bessere Möbel. Und eine Heizung.
    Obwohl der Tag sonnig und klar ist und der Wind warm, weht es hin und wieder unvermutet kalt heran – eine Mahnung daran, dass sie trotz der sommerlichen Temperaturen der letzten Tage Oktober haben. Gestern in Chicago sind er und Mel in Shorts und Sandalen herumgelaufen, und obwohl sie wussten, dass es in Ober-Michigan kühler sein würde, haben sie für das Wochenende nur dünne Jacken eingepackt. Auf der Herfahrt hat Mel ihm gesagt, dass sie sich nicht mal sicher ist, ob sie Strümpfe dabei hat – sie hat nur ihre abgelatschten schwarzen Chuck Taylors an, die mit den Löchern an den Seiten, durch die ihre nackten Füße herausgucken.
    Er lässt die Hand ihren Rücken hinuntergleiten und spreizt die Finger, um zu testen, wie viel von ihr er umspannen kann. Ziemlich viel. Er bringt den Mund an ihr Ohr und sagt: Dann müssen wir uns wohl mit Körperwärme behelfen.
    Sie antwortet nicht – überhaupt ist sie sonderbar still, seit sie hier sind.
    Er gibt auf. Magst du mir nicht sagen, was los ist?
    Mel seufzt. Gar nichts eigentlich, sagt sie. Ich bin bloß so angespannt, weißt du? Ich denke ständig, wir werden erwischt.
    Wie denn?, sagt er. Die Straße hier ist seit einem Monat niemand mehr gefahren.
    Was übertrieben ist, aber nicht sehr. Ihnen ist auf den ganzen acht Meilen Schotterstraße vom Highway bis zur Hütte kein einziges Auto begegnet. Ein paar andere Ferienhäuschen hat Brad zwar flüchtig erspäht, aber sie sahen alle mehr oder weniger so aus wie dieses hier: winzige Hütten oder Wohnanhänger, schon für den Winter dichtgemacht. Dennoch hat Mel ihn gedrängt, den Pick-up am See

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