Bis ans Ende der Welt (German Edition)
mußte aufpassen, daß man nicht wild träumte und im Schlaf etwa um sich schlug. Einen Aufenthaltsraum gab es nicht, auch keine normalen Sitzmöbel, man konnte aber auf dem überdachten Holzsteg die Beine ausstrecken. Laut Führer hausten in diesem „besonderen L u xus“ siebzig Pilger, mir kamen es aber mehr vor. Vielleicht deshalb, weil es wie üblich zu wenig Duschen und Toiletten gab. So etwas wie eine Intimsphäre ex i stierte nicht, dafür trennte man zwecks Einhaltung der Moral die Schläfer nach Geschlecht. So konnte ich nicht bei den tasmanischen Teufeln bleiben und wu r de einem fremden Schnarcher als Mitschläfer zugeteilt. Es war ein deutscher Lehrer in den Vierzigern, ziemlich zugeknöpft. Er taxierte mich kurz, dann ign o rierte er mich. Soweit es eben auf so engem Raum möglich war. Ich paßte o f fenbar in keine gute Schublade seines Schreibtisches. Das aber war ich inzw i schen gewohnt. Gesehen habe ich ihn bis dahin noch nicht. Man traf jetzt täglich neue Fremde. Santiago war ja nicht mehr weit. Entweder kamen sie frisch vom Flugplatz, oder sie kürzten wie meine tasmanischen Bekannten mit dem Bus ab. Die meisten trugen das Ticket mit dem genauen Rückflugdatum darauf schon in der Tasche. Ein müder Haufen, der unbedingt nach Compostela wollte, weil es gerade in war. Es wäre wohl sinnlos, ihnen erklären zu wollen, daß man in Deutschland oder Österreich viel besser wandern könnte. Also trödelte ich nicht herum, wusch meine Sachen, machte mich fein und ging mit den Mädchen in ein Restaurant essen. Nur essen. Wein wollten sie nicht trinken, auch dann nicht, wenn er wie hier automatisch zum Menü gehörte. Abstinente Australier, wo gibt es so etwas? Und hatte nicht Churchill gesagt, man solle keinem trauen, der nicht trinken würde? Ach was, lobte ich ihre Selbstdisziplin und trank mit Ve r gnügen den ganzen Wein allein. Das waren für vier Leute gleich zwei ganze Flaschen, aber das Opfer wurde mir überhaupt nicht zu schwer. Dann aber übe r raschte mich eine der jungen Damen völlig. Da meine letzte noch verbleibende Hose einen neuen auffälligen Riß bekam, der nicht mehr zu ignorieren war und freie Sicht auf meinen Hintern bot, meinte sie, sie könnte gegebenenfalls das Loch vernähen, werde es aber nicht tun. Was denn, warum denn, und habe ich sie darum gebeten? Ich müßte zuvor die Hose waschen, war die Begründung. Die saubere, erst gestern gewaschene Hose? Was sollte das? Wenn sie es nicht tun wollte, warum sprach sie dann überhaupt davon? Es gäbe wohl kulturell b e dingte Unterschiede zu den Antipoden, spekulierte ich und nahm mir vor, das nächste Mal, wenn ich zuhause mit Auto unterwegs wider einen australischen Anhalter sehen sollte, ihm zu erklären, ich könnte ihn mitnehmen, werde es j e doch nicht tun, da er seine Hose nicht gewaschen hat. Soll er statt dessen doch Kuchen essen!
Vega de Valcarce , km 2782
So kam es, daß ich am nächsten Tag den Weg wieder allein fortsetzte, zumal die Mädchen nochmals den Bus nahmen und ich den Alternativpfad durch die Be r ge. In dem engen Tal führte der Camino nämlich direkt neben der vielbefahr e nen Asphaltstraße und der Autobahn. Aus meiner Sicht war das ein Frevel, den ich mir nicht antun wollte. Zuerst aber kam nach etwa acht Kilometer die Stadt Villafranca del Bierzo , gerade richtig, um hier eine vorgeschobene Mittagspause einzulegen. Gemessen an den uralten Zivilisationsresten rundum eine noch ju n ge Stadt - das meiste Sehenswerte stammt aus dem 16./17. Jahrhundert, auch die Burgruine. Die Sonne schien warm und fröhlich, es war angenehm frisch. So ließ ich es mir gutgehen, indem ich herumschlenderte, auf den Bänken ruhte und die Menschen um mich herum beobachtete. Mit ein paar von ihnen führte ich kleine, gute Gespräche. Die Poesie kehrte zurück zu mir, und ich fühlte, wie a l les stimmt. Die Welt hatte kaum einen Fehler, der Herr schwebte über dem Tal und spendete Frieden. Es war der erste spanische Ort, an dem ich nichts ausz u setzen hatte. Einst wurde hier den unterwegs erkrankten Pilgern vorzeitig der Sündenablaß gewährt, weshalb der Ort auch „das kleine Compostela “ genannt wird. Eine Perle des Camino. Ich hätte hier länger verweilen mögen, verlor aber nicht das Ziel aus den Augen. Ob ich wollte oder nicht wollte, ich hatte weiter zu fließen. Mit einer gewissen Wehmut passierte ich über eine schmale Brücke das Flüßchen Burbia und stieg steil durch winzige Hausweinberge höher und höher aus dem
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