Bis ans Ende der Welt (German Edition)
waren zu bewältigen, Alto do Poio und San Roque. Da lag die Landesgrenze. Der Höhenunterschied betrug etwa achthu n dert Meter. Die teilweise recht struppige Natur erinnerte hier viel eher an die Schwäbische Alb als an das „sonnige Spanien“. Davon war nun keine Spur mehr übrig. Die grünen Berge schienen mir dünn besiedelt, schon immer einsam und heute vielleicht noch einsamer geworden durch die Autobahn, die auf hohen Stelzen über dem Tal schwebt, ein Ungetüm in Siebenmeilenstiefeln auf dem Weg nach Compostela. Die alte Landstraße darunter blieb den Einheimischen und den Pilgern erhalten. Doch wie früher, als es hier noch viel mehr Verkehr gab, läuft man auch heute auf dem schmalen, krumm ausgetretenen Pfad neben der Fahrbahn. Bald ging es dann wieder abseits der Straße durch Wiesen und Wäldchen auf kleinen Wegen hoch zum ersten Paß, vorläufig noch immer dem Flüßchen Valcarce folgend. Ich freute mich schon darauf, da oben Mittagspause machen zu dürfen. Die Landschaft bot laufend schöne Sichten, und ich wollte mir in aller Ruhe den Anblick auf die Seele brennen lassen. Eine Zäsur vollzog sich in der Natur und auch in mir. Die wollte ich erahnen und ertasten. Doch plant und werkelt der Mensch umsonst. Als ich oben am Paß ankam, der wider Erwarten nicht eng, kahl und steinig war, sondern statt dessen eine Art Almwi e se mit Waldrand, tobte da ein Volksfest mit Jahrmarkt, zu dem Tausende Bes u cher angereist kamen. Natürlich im Auto. Der ganze Schrotthaufen parkte gut bewacht auf der Wiese, und die fröhlichen Insassen strömten in Massen zu der improvisierten Budenstadt, wo tausend Sachen und Fressalien feilgeboten wu r den. Auch Bier und Wein flossen, wie bei solchen Anlässen allgemein üblich, im reichen Maße. Freilich hätte ich mir hier endlich eine feste Hose kaufen kö n nen, doch machte es mich nervös. Ich war einfach so viel Rummel nicht g e wöhnt. Ständig hatte ich jemanden auszuweichen, manche der Kerle, wohl schon angetrunken, fanden es gar lustig, mir den Weg zu verstellen und mich zurückzuhalten. Ich hatte nur den einen Gedanken, diesen Trubel so schnell wie möglich zu verlassen, was ich fast panisch tat. Und als ich endlich hindurch war, fühlte ich mich wie ein Hase, der versehentlich auf die Autobahn geriet, und nun am anderen Ende ausschnauft. Und die Hatz wollte hier noch nicht enden, denn plötzlich tauchten wie hergezaubert überall neue Autos und Touristen auf. Mi t ten am Weg, in einem gottverlassenen Kuhdorf, sprang plötzlich eine alte Bäu e rin aus dem Haus und drängte mir einen noch warmen Pfannkuchen auf. Den müsse ich unbedingt probieren, meinte sie, doch sobald ich es verdattert tat, ve r langte sie Geld. Das hat sie sich zugegebenen Maßen auch irgendwie verdient, doch fühlte ich mich überrumpelt. Vor dem nächsten Paß stieß ich noch auf eine Gruppe englischer, dann auch deutscher Radfahrer, die gerade ihre Drahtesel aus dem Bus luden, um diese bevorzugte, szenisch anspruchsvolle Wahlstrecke auf dem Camino zu befahren. Nach einer Weile, im steilsten Abschnitt der Paßstr a ße, holten sie mich dann in Masse ein und quälten sich, allesamt schon ältere Herrschaften, keuchend, schwitzend, in letzten Zügen sozusagen, an mir vorbei. Es war sehr stressig – für beide Seiten, denke ich. Einer der Engländer aber hatte Erbarmen mit uns beiden, stieg ab und begleitete mich bis zum Gipfel, wofür ich ihm sehr dankbar war. Es war ein gutes Gespräch und nahm der Sache den St a chel. Ich verlor die Radler oben auf der Paßhöhe, kahl, grau und windig, wo sie wieder vom Bus oder dem Widerborstigen aufgelesen und weggeschafft wurden. Der Platz war mit Ausnahme einer riesigen Pilgerstatue leer und verlassen, und ich fragte mich, wo wohl die vielen Pilger bleiben mögen, die ich noch unten im Tal zu sehen bekam. Nicht, daß sie mir gefehlt hätten. Aber es waren Hunderte, die auf dem jeweiligen Tagesabschnitt unterwegs waren, und ihre Abwesenheit an diesem einsamen Ort fiel auf.
Das Bierzo und somit Kastilien-León lagen nun hinter mir, unten im Tal schi m merte das grüne Galicien. Ein Keltenland und anders als das übrige Spanien. In der kalten Einsamkeit vermißte ich plötzlich den Grenzstein, auf den ich mich schon seit Tagen freute, und den ich stumpf und blind irgendwo passiert haben muß. Auch die grandiose Landschaft, so kam es mir, Gottes herrliche Schö p fung, habe ich heute nicht genug beachtet, gewürdigt, gepriesen. Immerhin ist es vermutlich die
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