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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Tal. Das war der Camino Duro , der harte Weg, aber mir machte es nichts aus. Wichtig war mir, daß es hier kein Verkehr, keine lästigen Mitme n schen gab. Doch auch unter im Tal, worauf ich zeitweilig gute Sicht hatte, tat sich nicht viel. Der eine oder andere Pilger war dort gelegentlich zu erblicken, ab und zu fuhr ein Auto, ansonsten lag alles leer und friedlich. Der Hang, auf dem ich hochstieg, zeigte Reste einer Bewaldung, aber offensichtlich sabotierten Brandstifter alle solchen Versuche, sobald die Bäume etwas größer wurden. Wie ich hörte, waren es Schafs- und Ziegenhirte, die auf den kahlen Bergen ihre Herden weideten und sich das Geschäft durch hochsprießende Wälder nicht k a puttmachen lassen wollten. Welche Kurzsichtigkeit! Aber es atmete sich frei hier, die Sicht auf den blaßblauen Himmel und die hellgrünen Hänge rund he r um war grandios. Alle Müdigkeit und Krankheit waren wie weggewischt. Der Herr ging wieder mit, freute sich mit mir über sein Werk, bis er plötzlich abhob und übermütig durch die Schluchten sauste, mit ein paar Loopings hoch am Himmel zum Abschluß. Am Ende trottete er wieder brav mit und kickte übermütig graugelbe Kalksteinsplitter vom Wegrand ins Tal hinunter. So ging es g u te zehn Kilometer weiter, bis der Weg einer Ortschaft wieder näher kam, und ich in einem geheimnisvoll romantischen Eßkastanienwald eine Truppe englischer Pilgersenioren samt zwei Begleitfahrzeugen und einer richtigen Feldküche a n traf. Sie luden mich zwar nicht zu ihrem Festessen ein, ja sie nahmen nicht ei n mal Notiz von mir, aber das Personal spendierte mir ohne Zögern gutes, frisches Wasser, wieviel ich bis zum Abend eben noch brauchte. Ohne Bäume blieb in den Bergen kein Wasser im Boden zurück, und es gab da keinerlei Bäche oder Quellen, um den Durst stillen zu können. Man trank eben nur das, was man mit sich trug. Ich rastete ein paar Minuten in der Nähe der englischen Reisegesel l schaft und beobachtete die Scheinpilger bei ihrem Treiben. Ihre war zwar nicht dieselbe verzehrende, unbarmherzige Pilgerfahrt, die ich mir auflud, aber wir alle taten unser Bestes. Auch der Herr muß es so gesehen haben, denn er blieb noch bei den Senioren, während ich mich auf den Abstieg hinunter ins Tal machte. Unten, wo die Luft vor Hitze flimmerte, traf ich Armin, den Italo-Australier mit seiner spanischen Freundin. Die Freundin war neu, aber sie paßte zu ihm. Beide waren sie fix und fertig, was Armin damit kompensierte, daß er lustige Geschichten über die katastrophalen spanischen Verhältnisse erzählte. Ich legte das Meinige dazu, und wir hatten eine lustige Zeit. Auch als er sich über meine Bemerkung damals in Roncesvalles beschwerte, der Name des fra n zösischen Präsidenten Sarkozy , so wie er in Westeuropa ausgesprochen würde, bedeute durch den Lautwechsel von „Sch“ zu „S“ im Ungarischen „im Schei ß haufen sitzen“. Er habe, so Armin, einen Polen gefragt, und der hätte es nicht bestätigen können. Einen Polen!? Es war immer zum Schießen mit Armin. Aber er hatte auch eine ernste, nachdenkliche Seite. Als wir am Abend beim Wein s a ßen, meinte er, ich weiche anderen Menschen aus, schaue ihnen nicht in die A u gen. Es überraschte mich, weil es zutraf. Oder zumindest teilweise. Hier in Sp a nien mochte ich zwar gute Gründe dazu haben, doch tat ich es auch sonst, lebte eben in einer eigenen Welt, zu der andere den Eingang nicht immer fanden. Zur Ablenkung erzählte ich Armin, wie ich in der heißen kastilischen Ebene den Körper weitermarschieren ließ, während mein Geist am schattigen Waldrand saß und den Vögeln zuhörte. Aber ich erzählte ihm lieber nicht vom Herrn, wie er mitgeht. Ich wollte ihn nicht beunruhigen. Alles in allem, es war heute ein guter Tag. Trotz der übervollen Herberge, trotz der fremden Menschen, zu denen ich den Kontakt nicht fand und inzwischen auch gar nicht suchte, die mir da nicht einmal glauben wollten, daß ich den ganzen Weg zu Fuß gelaufen bin, weil sie sich so etwas gar nicht vorstellen konnten, und weil es hier auch sonst lauter Schwätzer und Angeber gab. Ich hatte das Gefühl, sie durch die bloße Existenz zu reizen. Die Mauer zwischen uns wuchs, und dahinter wurde es immer stiller. Es wurde immer stiller in mir.
Triacastela , km 2817
    Eine andere Mauer erwartete mich am nächsten Tag, ein neues Gebirge nämlich, welches das Bierzo, noch zu Kastilien-Leon gehörig, von Galicien trennt. Zwei Pässe um die dreizehnhundert Meter

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