Bis ans Ende des Horizonts
Gepäck und die Instrumente mit einer ordentlichen Bahre und mit Hilfe einiger Leute zu ihm zurückkehren, um ihn abzuholen.
Dieser Vorschlag erschien ganz sinnvoll, auch wenn Pearl Bedenken hatte, ihn so krank und schwach alleine zurückzulassen. Sie bestand darauf, dass er die letzten Notrationen behielt – ein wenig Zwieback und die einzige noch übrig gebliebene Malariatablette. Außerdem füllte sie die Feldflaschen mit frischem Wasser aus dem Bach. Als es so weit war, zögerte sie den Abschied immer wieder hinaus, indem sie ihm noch einen Lappen auf die Stirn legte, um sein Fieber zu senken, in ihrem Tornister herumkramte, um ihm ihre letzten Zigaretten dazulassen, und sie faltete ihm ihre eigene Decke zu einem Kissen und schob sie unter seinen Kopf. Seit jenem kühlen Morgen am Kai von Woolloomooloo im vergangenen Jahr waren sie beide unzertrennlich gewesen: Er war ihr wie ein Schatten auf Schritt und Tritt gefolgt und sie ihm. Sie wurde von Schuldgefühlen geplagt, als hätte sie selbst ihm aus Versehen etwas Verdorbenes zu essen gegeben und dadurch seine Krankheit verursacht.
»Ohne dich wäre ich nie so weit gekommen«, gestand sie ihm.
»Jetzt haben Sie sich mal nicht so, Soldat«, scherzte er im Kasernenhofton.
»Ich meine es ernst, Charlie. Du bist der Beste.«
Sie machte sich noch immer an ihm zu schaffen und glättete die Decke unter seinem Kinn.
»Beeil dich und verschwinde endlich«, mahnte er. »Mir wäre es lieber, wenn sich heute Abend ein richtiger Doktor um mich kümmert und nicht so eine schwachköpfige Jazzmusikantin.«
Sie musste unwillkürlich lachen und zwickte ihm die Nase. Obwohl er säuerlich nach Erbrochenem roch, lehnte sie sich vor und küsste ihn auf die Lippen. Er erwiderte ihren Kuss, und sie spürte, wie sich der Schweiß auf seinen Lippen mit ihrem vermischte.
Wenn sie mit leerem Magen marschieren musste, kam ihr jede Strecke immer länger und steiniger vor, die Sonne war noch heißer als sonst und der Tornister noch schwerer. Ab und zu wurde ihr schwindlig und ihr schwirrten Punkte vor den Augen wie schillernde, lästige Insekten, aber sie wollte niemals stehen bleiben und sich ausruhen – aus Angst, dass sie dann nicht mehr weiterlaufen würde. Im Laufe des Vormittags konnten sie im Tal die Einschläge von Granaten hören sowie Maschinengewehrsalven. Pup reagierte auf die Geräusche sehr verängstigt und lief ständig bellend im Kreis herum. Sie gingen zwei Stunden in nördlicher Richtung an einem Flüsschen entlang, und endlich tauchte das Feldlazarett auf. Grüne Zelte und einige runde Hütten standen gut getarnt unter einer Ansammlung von Bäumen. Hinter dem Camp befand sich eine schmale Landebahn, allerdings stand dort kein einziges Flugzeug.
»Eindeutig Malaria«, erklärte der Standortkommandant Nevins, nachdem Pearl Charlies Symptome beschrieben und Meldung gemacht hatte, warum sie zwei Tag später als geplant eingetroffen waren. Er war ein untersetzter, dickbäuchiger Mann mit näselnder Stimme und vom Tabak verfärbten Zähnen. »Machen Sie sich keine Gedanken, dass sie ihm kaum etwas zu essen dalassen konnten. Er würde sowieso nichts bei sich behalten.«
Während Nevins zwei Träger und eine Bahre organisierte, die Pearl zu Charlie zurückbegleiten sollten, machten Pearl und Wanipe das Verpflegungszelt ausfindig, wo sie einen ganzen Teller voll Rindfleisch und frisches Gemüse aßen. Nachdem ihr Magen endlich wieder gefüllt war, spürte Pearl, wie sich die Wärme in ihrem Körper ausbreitete und ihre Muskeln sich entspannten.
Und als sie sich wieder bei Nevins in seinem Kommandostand meldete, lag bereits ihr neuer Marschbefehl vor, der von Lae per Funk durchgegeben worden war. Er hatte ihn auf einem Stück Papier notiert.
»Es gibt da noch ein paar Einheiten irgendwo oben bei Mount Hagen, ungefähr sechzig Kilometer von hier«, erklärte er. »Sie sind bereits seit Wochen dort. Wir sind das nächstgelegene größere Camp.« Er sah von den Notizen auf.
Pearl stand in Habtachtstellung und nickte vorsichtshalber.
»Die einen bewachen die Landebahn. Die anderen gelten vorläufig als vermisst. Das sind unsere am weitesten vorgeschobenen Posten, Gefreiter. Vor zwei Tagen haben wir Funkkontakt verloren, und wir wissen nicht, wo sie stecken.«
Pearl ahnte bereits, was jetzt kam, und sie fürchtete sich davor.
»Ich habe ein paar von meinen Männern losgeschickt, um sie ausfindig zu machen. Aber um dir die Wahrheit zu sagen, mein Sohn, was wir hier vor Ort
Weitere Kostenlose Bücher