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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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wenig eitel sein Aussehen überprüfen, doch dann bemerkte sie oben auf seinem Kopf eine kahle Stelle von der Größe eines Pennys und wie er dort äußerst sorgfältig ein Haar nach dem anderen auszupfte.
    Sie schielte zu Charlie hinüber und hob die Augenbrauen. Aber dieser schüttelte nur kurz den Kopf und bedeutete ihr mit einer Geste: Erkläre ich dir gleich. Daraufhin zog er ein Päckchen Zigarettentabak aus seinem Seesack hervor.
    »Wir gehen mal kurz nach draußen eine rauchen«, rief er Blue zu.
    Ihr Geleitzug war mittlerweile ringsumher nur noch von Wasser umgeben, das Land war außer Sicht. Pearl hätte es jetzt mit der Angst zu tun bekommen, aber das ständige Geplappere von Charlie wirkte irgendwie beruhigend. Während sie mit ihm eine Runde auf dem oberen Deck drehte, erzählte er ihr von Blue. Während des vergangenen Jahres gehörten beide zur gleichen Einheit in Neuguinea, wo sie in den Camps entlang des Kokoda-Pfades auftraten. Kurz bevor die australischen Truppen bei Ioribaiwa siegten, fiel Blue in ein Schützenloch, und später stellte sich heraus, dass er sich irgendwo mit Ruhr und Malaria angesteckt hatte. Er hatte das vergangene halbe Jahr in den Blue Montains im Hydro Majestic Hotel verbracht, das zu einem Sanatorium umgewandelt worden war. »Dort hat er angefangen, sich die Haare auszureißen. Keine Ahnung, warum«, erklärte Charlie. »Immer wenn ich Heimaturlaub hatte, habe ich ihn besucht.« Heute war Blues erster Tag im Dienst nach seiner Genesung.
    Charlie hingegen schien von den beengten Verhältnissen auf dem Schiff genauso unbeeindruckt wie von dem, was auf sie zukam, wenn sie ihr Einsatzgebiet erst einmal erreicht hatten. Niemals schien er einfach normal zu gehen, sondern eher auf und ab zu hüpfen, und er wirkte ständig überschäumend vor Enthusiasmus.
    »Einmal bin ich extra ins Trocadero gegangen, nur um dich zu hören«, erzählte er, und der kräftige Wind drückte ihm seine flachsblonden Haare gegen die Stirn. »Aber da warst du schon eingezogen und bereits auf deiner Tournee beim Militär.« Sie hatten sich auf Kisten niedergelassen, die an der Seite eines Volleyball-Spielfeldes aufgereiht waren, dessen Netz man natürlich beim Umbau des Schiffes abgehängt hatte. Die beiden Pfosten dienten jetzt zur Befestigung von Artilleriekanonen. Auf dem Deck drängten sich australische sowie amerikanische Soldaten, darunter auch ein paar Schwarze, aber die meisten waren Weiße. Es gab kaum genügend Platz, um ein Gewehr anzulegen. Viele saßen in dichten Gruppen beieinander und spielten Karten oder Two-up, ein Wettspiel, bei dem Münzen geworfen wurden.
    »Ich bin mit den Lippen ein bisschen aus der Übung«, sagte Pearl leise, denn sie fand es besser, schon mal vorzubauen. Unweigerlich musste irgendwann der Moment kommen, wenn Charlie merkte, dass sie bei weitem nicht so gut spielen konnte wie ihr Bruder. »Ich habe während meines Urlaubs nichts gespielt und auch kein bisschen geübt. Ist doch immer wieder erstaunlich, wie schnell man da rauskommt.«
    »Und auch noch bescheiden!«, rief Charlie. »So jemand ist mir sympathisch. Kannst du auch tanzen?«
    Pearl sah ihn entsetzt an. Glaubte er etwa, sie könne eine Tanzeinlage während des Konzerts hinlegen? »Nein«, erwiderte sie in nachdrücklichem Ton. »Bei uns in der Familie war meine Mutter die große Tänzerin.« Gerade wollte sie die Beine übereinanderschlagen, doch sie konnte sich noch rechtzeitig bremsen. Das würde in dieser Umgebung ziemlich tuntig wirken. Stattdessen legte sie einen Fußknöchel auf dem anderen Knie ab.
    Gegen Mittag stellten sie sich in einer langen Warteschlange an, die sich bereits zu einer weit geöffneten Tür herauswand. Langsam rückte die Schlange vorwärts. Pearl und Charlie gelangten so an die Schwelle eines Speisesaales, wo das Mittagessen ausgegeben wurde. Es handelte sich um einen geräumigen Saal mit Ätzglas als Wandverkleidung und Spiegeln zwischen den Fenstern. An einem Ende befand sich eine Bühne, umrahmt von schweren roten Samtvorhängen. Aber hier spielte kein zehnköpfiges Tanzorchester flotte Rhythmen, sondern eine Küchenbrigade häufte das Essen in Blechteller, welche die Soldaten ihnen entgegenstreckten. In der Mitte schimmerte ein fünfstufiger verstaubter Kronleuchter über der ehemals sicher auf Hochglanz polierten Tanzfläche; nun standen auf dem Holzboden lange aufgebockte Tische und Klappstühle.
    Als Pearl sich dicht an einer der mit Ätzglas versehenen Wände vorbeischob,

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