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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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halten sollten, ließen sich nicht in den Untergrund rammen, sodass sie zusammensackte. Die Kostümwechsel gingen nicht schnell genug vonstatten. Die Soldaten im Camp ahnten die meisten Pointen voraus und riefen sie bereits vorab. Viele Notenblätter wurden vom Wind fortgeweht, landeten im Fluss und wurden fortgeschwemmt. Ohne seine Noten war Farthing ziemlich hilflos, weshalb die Musik wegen fehlender Noten und dissonanter Akkorde zu einem eintönigen Trott ermattete. Bei seinem Versuch, auf den Händen zu laufen, rutschte Marks aus und landete im Schlamm. Hinter einem Gebüsch setzte Pearl ihre Perücke auf und zog das rote Kleid über ihre von dem Marsch noch immer feuchte Armeehose, damit sie nicht zu feminin wirkte. Anschließend trug sie eine dicke Schicht Schminke auf. Als sie versuchte, ihre Stimme einigermaßen männlich klingen zu lassen, begann sie versehentlich in der falschen Tonart und musste noch einmal von vorn anfangen. Sie orientierte sich wieder an der Stimme ihres Vaters, aber wegen des langen Anmarsches und der vielen Missgeschicke während der Vorstellung hatte sie sich kaum mehr unter Kontrolle. Inzwischen waren die Zuschauer nach all den Pannen ungeduldig und unruhig geworden und verzogen sich allmählich Richtung Verpflegungszelt. Nur Wanipe, einer der Träger, harrte scheu und bescheiden bis zum Schluss aus. Er trug lediglich ein Genitalsäckchen und einen Hundezahn an einem Band um den Hals. In einer Hand hielt er drei Kaurischnecken. Pearl konnte sein Alter nur schwer schätzen – vielleicht war er vierzig oder sogar noch etwas älter. Nachdem sie ihre Nummer beendet hatte, bemerkte sie, wie er ihr die Muscheln entgegenstreckte. Mit einem Nicken nahm sie sie entgegen. Kaum hatte sie ein paar Dankesworte gemurmelt, als er sich auf sie stürzte und sie im Gesicht, auf Hals und Schultern abzuküssen begann. Er drückte sich so fest an sie, dass sie beide das Gleichgewicht verloren und im Matsch landeten. Sämtliche Musiker schütteten sich aus vor Lachen, und Farthing zog Wanipe wieder auf die Beine. Er erklärte ihm in einfachem Kauderwelsch und mit reichlich Zeichensprache, dass es sich bei seiner vermeintlichen Angebeteten in Wirklichkeit um einen Mann handelte. Doch Wanipe runzelte des Öfteren die Stirn und schüttelte den Kopf. Pearl war sich keineswegs sicher, ob er sich nur wunderte oder ob er es einfach nicht glaubte.
    Die Pfade, die durch den Regenwald führten, waren sehr glitschig. Die Luft schwirrte von Fliegen- und Mückenschwärmen. Hitze und Durst machten allen sehr zu schaffen. Aber keiner durfte sich beklagen, und an eine Umkehr war nicht zu denken. Kokos- und Sagopalmen ragten in den Himmel, vereinzelt standen ausladende Brotfruchtbäume, und überall gab es Bambus- und Zuckerrohrhaine. Als sie an einer Stelle anlangten, wo sie sich vor Feindberührung sicher waren, probten sie die ganze Show noch einmal, beschleunigten die Kostümwechsel, veränderten die Sketche und die Pointen sowie einige Abläufe. Das Szenenbild, das Pearl gemalt hatte, erwies sich als zu schwer zum Herumtragen. Sie ließen es am Flussufer liegen.
    Wanipe, der Träger, der Pearl die Kaurischnecken angeboten hatte, war ihr ortskundiger Führer durch den Urwald. Er kannte sich in dem Gelände nicht nur genau aus, sondern er war auch einer der wenigen eingeborenen Küstenbewohner, der die Hunderte von Kilometern über das gebirgige Hochland im Westen gewandert war, um Muscheln gegen Gold und Schweine einzutauschen. Im Sonnenlicht war seine Haut dunkelockerfarben. Seine Augen wirkten immer ein wenig blutunterlaufen wie bei Menschen, die einen Kater nach einer durchzechten Nacht haben. Wenn er lächelte, legten sich seine Wangen in viele kleine Fältchen. Gelegentlich bemerkte Pearl, wie er sie mit einem wissenden Blick beobachtete, als könnte er unter ihrer Uniform die leichte Ausbuchtung ihrer Brüste und die weibliche Anatomie zwischen den Beinen erkennen. Farthing und Marks hatten wirklich alles versucht, um ihn davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich ein Mann sei, doch sie hatte oft das Gefühl, er würde die Wahrheit kennen und sich darüber amüsieren. Dogare, der andere einheimische Träger, würdigte sie keines Blickes. Er war jünger als Wanipe, seine Haut war heller, er hatte einen schlanken, drahtigen Körper und roch stets nach Schweiß und Kokosnussöl. Bei einer bestimmten Beleuchtung hatte er große Ähnlichkeit mit James, allerdings wirkte er mürrisch und unsicher.
    Sie marschierten

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