Bis auf die Haut
Steckdosen für Laptops. Auf deinem Tisch liegt sittsam dein kleines Buch mit dem glänzenden, kaffeebraunen Ledereinband und den aufgebrochenen Verschlüssen. Und den in einer entschlossenen, klaren Handschrift abgefassten schockierenden Erklärungen.
Eva zeichnet sich vor Adam aus. Eva ist weniger sündtig als Adam.
Weiber wünschen sich einen Gatten, aber nicht so sehr deshalben, um sich Eheweib nennen zu dürfen, als deshalben, Mutter zu werden. Denn sie wissen, dass das Gebären von Kindlein ihnen Segen bringet.
Wo findet sich der Mann, der bey Unfruchtbarkeit und Alter, bey Schwäche und Gebrechlichkeit sich seinem Weibe so güthig und zuvorkommend erwiese, daß er bereithwillig seinen Platz einem fähigeren Mann überliesse, damit seine Gattin empfangen könne.
Den Weibern sey die Herrschaft über die Männer gegeben.
Was trieb die Autorin dazu, solche Dinge zu schreiben? Und was ist das in dir für ein Gefühl der Fremdheit, des Wundseins? Warum tust du, seit du fest in diese Beziehung eingebettet bist, immer Dinge, die du gar nicht tun willst? Im ersten Glanz der Verliebtheit hast du so vieles hingenommen, was dich jetzt stört. Warum fühlst du dich stärker und unbeschwerter, wenn du allein bist, sodass du deinen Mann lieber nicht so oft um dich hast? Alle betrachteten dich stets als Musterkandidatin für die Ehefrauenrolle, du bist anpassungsfähig und umgänglich, heuchelst Begeisterung beim Essen mit den Schwiegereltern, bei Fußballspielen, Actionfilmen und Cocktails mit Coles Kunden. Allerdings ahnt niemand etwas von dieser Unruhe in dir, die dir ständig auf den Ellbogen tippt, dich am Rock zupft.
Du bist noch nicht sicher, was du mit dem Buch anfangen wirst; wenn du versuchst, einen Zugang zu ihm zu finden, ist dir, als würdest du unter Wasser herumwaten. Aber du wirst es schon schaffen. Trotz der vielen Ablenkungen – Zeitschriften, Zeitungen, das Internet und Gabriel, nach dem du Ausschau hältst, das vor allem.
Besonders im Leseraum, wo du immer die Mittagszeit verbringst – nur für den Fall.
Licht aus hohen Fenstern durchflutet heiter den Raum, in dem eine gedämpfte Atmosphäre der Gedankenfülle, der Gelehrsamkeit und der Schläfrigkeit herrscht. Mehrere alte Ledersessel reihen sich in würdevoller Behäbigkeit aneinander, ihre Bäuche hängen bis zum Boden durch. Du kennst inzwischen die regelmäßigen Besucher. Den fein gekleideten älteren Herrn, der ein weißes Leinentaschentuch auf dem Stuhl ausbreitet, bevor er sich unendlich langsam darauf niederlässt. Den großen Dicken, der immer schläft, mit zurückgelehntem Kopf und offenem Mund, die Hände schützend über dem Buch auf seiner Brust verschränkt, was dich immer an einen Toten erinnert, dessen Witwe ihm eine Bibel unter die gefalteten Hände geschoben hat. Die verhuschte Frau, die täglich Punkt zwölf den Saal betritt, sich neben einen lesenden Mann auf den Boden kniet und ihren Kopf auf seinen Schoß legt. Er fährt ihr geistesabwesend mit den Fingern durchs Haar; eine halbe Stunde lang wechseln sie kein Wort, dann gehen sie und dein Herz wird weit vor Rührung über ihr gemeinsames Glück – so etwas hattest du auch einmal; dann zieht sich dein Herz zusammen beim Gedanken, was aus dem Glück dieses Paars einmal werden könnte.
Die Bibliothek gibt dir das Gefühl von Produktivität, gibt deinem Leben einen Rahmen. Du ziehst dich an, als würdest du zur Arbeit gehen, und bist damit nicht die Einzige. Ein Mann mittleren Alters im Nadelstreifenanzug verbringt den ganzen Tag damit, sich von der ersten bis zur letzten Seite durch die
Times
zu ackern; der Kragen und die Manschetten seines sahneweißen Hemds sind immer frisch gestärkt, was er vermutlich einer ahnungslosen Ehefrau verdankt. Du fragst dich, wie lange er sein Versteckspiel wohl aufrechterhalten kann.
Bald wird der Besuch der Bibliothek für dich zur Sucht, du brauchst sie täglich wie früher deinen Kaffee. Mitten im Londoner Gewühl, inmitten der schmutzigen, muskelprotzenden Energie dieser Stadt, wird dir das schmale Gebäude zum Ort der Zuflucht und Stärkung. Und immer bist du auf der Suche. Denn der Gedanke an Gabriel steckt in dir wie ein Virus. Gabriel wird kommen, das spürst du mit einer seltsamen Gewissheit.
46. Lektion Träge Menschen, die in der Stube hocken, sind häufig kränklich
Du bist im Computerraum der Bibliothek, wo du deinen Freunden E-Mails schreibst und die Zeitungen nach Show-Biz-Klatsch durchforstest: die neuesten Ehen, die in
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