Bis auf die Haut
bewegt sich in großen Gruppen nicht sehr gewandt. Wieder fällt dir sein nachtschwarzes Haar auf, die haarlose helle Stelle hinter seinem Ohr. Am liebsten würdest du mit der Zunge darüberfahren. Du presst die Schenkel zusammen, als er sich an dir vorbei zur Theke beugt, um seinen Wein zu bezahlen, er trinkt kein Bier wie die anderen. Und natürlich trägt er wieder einen Anzug, als käme etwas anderes für ihn nicht in Betracht, als würde er regelmäßig seine Mutter besuchen und in die Kirche gehen. Niemand, den du kennst, geht in die Kirche. Seine Anzüge haben alle einen altmodischen Schnitt, vielleicht ist das sein besonderer Stil, vielleicht gehören sie aber auch seinem Vater und er ist ärmer, als du dachtest. Es gäbe so viel zu fragen.
Er schert sich nicht darum, ob er zu den anderen passt. Warum sollte er keinen Anzug tragen und sein Skript nicht mit der Hand schreiben und monatelang einfach verschwinden? Er ist ein Mann, der mit Liebe überhäuft wurde, wie ein Fels, auf den lange die Sonne heruntergebrannt hat, deren Wärme noch in ihm nachglüht. Du stellst ihn dir als den einzigen Jungen in seiner Familie vor, angebetet von seinen älteren Schwestern, ein Nachzügler, die wunderbare Folge einer Unachtsamkeit: Du findest in ihm keine Spur des Ernsts, des Verantwortungsbewusstseins eines Erstgeborenen. Und er ist ungemein liebenswert, wie sein Lächeln zeigt.
Du atmest ganz falsch, ruckartig und flach, kannst dich nicht entspannen. Die anderen spotten über sein Drehbuch, das verdammt lange braucht, bis es fertig ist.
Eine Frau namens Martha ergreift das Wort. Sie ist dir schon öfter aufgefallen, weil sie immer mit finsterer Stirn herumläuft, als würde sie ständig die Fäuste ballen. Nun frotzelt sie darüber, dass Gabriel stolze achtundzwanzig Seiten vollendet hätte, zweifellos das Werk eines Genies, was ihn allerdings elf Monate Mühe und Schweiß gekostet habe, und jeder hier hege starke Zweifel, ob Gabriel jemals weitere achtundzwanzig Seiten zustande bringen werde. Da erkennst du, dass du nicht als Einzige seinem Charme erlegen bist.
Was ist denn der Titel?, fragst du holprig.
Ich weiß noch nicht.
Sein jungenhaftes Strahlen, sein Achselzucken. Du willst fort aus dieser Bar, hier ist alles so aufgesetzt, das kumpelhafte Herumgepolter stimmt einfach nicht für dich. Er wurde rot, als er dich sah, das hat etwas zu bedeuten, du bemühst dich, deinen Atem in den Griff zu bekommen, willst ein wenig von deinem Wein nippen und trinkst am Ende doch einen kräftigen Schluck. Einer nach dem anderen verabschiedet sich, sogar Martha, die lange herumhing, und endlich, endlich seid ihr allein. Kurzes Schweigen, dann müsst ihr beide lachen.
Also.
Also.
Du entschuldigst dich, weil du ihn nicht angerufen hast, erzählst ihm, dass du seine Nummer verloren hast und deswegen ganz verzweifelt warst; sofort bereust du, dass du ihm so viel verraten hast. Aber er ist geschmeichelt, sogar entzückt. Das freut mich aber, sagt er, das baut mich auf, und du legst den Kopf schief und versuchst ihn zu durchschauen: Nein, er hat kein Interesse daran, sich zu verstellen.
Dann sprudelt das Gespräch, ein, zwei Stunden lang, über alles und nichts, wie Cole und du euch früher unterhalten habt, in der rauschhaften Zeit nach eurem ersten Sex, als sich die Freundschaft in etwas anderes verwandelte. Die Zeit, als ihr gierig übereinander hergefallen seid, als ihr im Morgengrauen erschöpft abbracht, um am Abend weiterzumachen. Je öfter du Sex hattest, desto mehr giertest du danach, alle eingerosteten Federn in dir wie geölt. Bis Vertrautheit, Erschöpfung und Stress deinen Schwung bremsten und dein Bedürfnis nach Sex immer mehr erlahmte, je seltener ihr euch liebtet. Bis schließlich gar nichts mehr zwischen euch stattfand.
Das darf mit Gabriel auf keinen Fall passieren.
Er vermittelt dir allein durch seine Gegenwart das Gefühl unheimlicher Lebendigkeit. Solche Menschen hast du immer geliebt, die dir das Herz leichter machen statt schwerer. Er bringt dich so weit, dass deine Augen wieder lachen. Ihr redet, als wäre es das letzte Mal, es gibt so viel zu erzählen und ihr habt so wenig Zeit und ihr wisst nichts voneinander und müsst alles wissen, auf der Stelle, bevor es zu spät ist.
Wie lief’s denn in L.A.?
Keine Ahnung. Das weiß ich nie. Die sagen mir immer, ich wäre der Zweitbeste gewesen. Die Liste meiner Pleiten ist sehr lang.
Er zeigt deshalb weder Ärger noch Frust oder Verzweiflung; vielleicht
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