Bis auf die Haut
wären aus dem Buch der Zukunft ganze Kapitel herausgerissen.
Du kannst dich nicht rühren, dein ganzes Leben scheint eingestürzt. Du weißt nicht, was du tun sollst. Du hockst lange da, deine Hand zwischen den Schenkeln. Als du schließlich wieder aufstehst, starrst du deine Finger an, ihren klebrigen Glanz wie ein Schrei. Du bist schockiert, deine Hand zittert, wieder ein Teenager, so plötzlich ging das.
Aber du hast keine Nummer, keine Adresse. Und er keine von dir. Er ist fort. Und du hast dich so angestrengt, um so weit zu kommen, um dein Magenflattern und deine Nervosität zu überwinden und dich dazu zu entschließen, den Hörer abzuheben. Dir war nicht bewusst, wie sehr du mit ihm als Möglichkeit gerechnet hast, die dein Leben aufregend machen und seine Leere füllen könnte – bis er verschwunden war.
41. Lektion Befleissiget euch, rasch zu gehen, ohne herumzutrödeln
oder ständig Auslagen zu betrachten
Das Lokal in Soho, allein, immer wieder, den ganzen September, den ganzen Oktober. Er kommt nicht wieder.
An einem kalten, sonnigen Montag sitzt eine junge Frau neben dir. Sie liest die Sexbeilage der
Face
und strahlt eine solche konzentrierte Präsenz aus, als wäre dieses Lokal ihr Büro und sie schon ihr ganzes Leben lang die Person, die sie jetzt ist. Du wünschst dir, du könntest sein wie sie. Auf dem Heimweg kaufst du dir dieselbe Zeitschrift und wirst rot, als der Zeitungsverkäufer dein Geld entgegennimmt. Du wirst seinen Laden nie wieder betreten.
In der Nacht, allein im Schlafzimmer, Worte, die du noch nie gehört hast:
Californication: schamlos in jeder denkbaren Position kopulieren. Hot Dog mit Chili: auf dem Oberkörper einer Frau defäkieren und mit ihren Brüsten masturbieren. Blumenkette: ein Kreis von Personen, die durch oralen Sex verbunden sind. Die Höhle fluten: in die Vagina einer Partnerin urinieren. Jemandem einen summen: Summen einer Melodie beim oralen Sex. Und so weiter, du schlägst die Zeitschrift zu und streichst das Cover glatt, schiebst sie in die unterste Schublade deines Nachtschränkchens und vergewisserst dich, dass sie gut versteckt ist.
Angeekelt. Entsetzt. Feucht.
Du denkst an die Frau im Lokal und an den Mann, der nicht wiederkam. Du denkst an anonymen, unkomplizierten Sex. Und rührst dich damit auf, anstatt dich in den Schlaf zu lullen. Denn du willst das jetzt alles wirklich erleben.
42. Lektion Jede sey ihre eigene Schneiderin
Am nächsten Tag fühlst du dich im Lokal in Soho wie eine Seeanemone, die sich den seidigen Liebkosungen des Wassers öffnet, denn du hast beschlossen, in den nächsten Monaten ganz anders zu leben als je zuvor, genießerisch und selbstsüchtig, bevor Ehe und Mutterschaft über dir zusammenschlagen. Du träumst davon, nichts und niemandem verpflichtet zu sein außer deinem eigenen Vergnügen, dich mit neuer Energie auf die Suche nach befriedigendem Sex zu machen. Wenn du den Mut dazu aufbringst.
Im letzten Studienjahr hast du reihenweise mit Männern geschlafen, denn du wolltest der Welt nicht ohne einschlägige Erfahrung entgegentreten, du hast dich geschämt und selbst verachtet, dass du mit zweiundzwanzig noch Jungfrau warst.
Damals, Anfang zwanzig, warst du noch ganz unbedarft, hättest als Sechzehnjährige durchgehen können, der man noch viel beibringen muss, dein Gesicht war noch weich und ungeformt. An einem Samstagabend bei Freunden hast du dir Mut angetrunken, du musstest es einfach hinter dich bringen. Neben dir lehnte ein Mann in der Tür, größer als du und hellhäutig, der war dafür gerade recht. Alle anderen waren in eine Doppelfolge von Starsky & Hutch vertieft, keiner würde deine Abwesenheit bemerken.
Du hast tief Luft geholt und gefragt: Willst du nach oben gehen?
Was?, fragte er und beugte sich näher zu dir.
Komm, gehen wir rauf.
Du nahmst seine Hand, er hatte keine Ahnung, dass dir das Herz zum Zerspringen klopfte. Du hast ihn nie wieder gesehen, wolltest nicht, hast seinen Namen rasch vergessen. Danach kamen viele andere. Sie sind immer auf den Köder angesprungen, bildeten sich ein, sie hätten Beute gemacht, und merkten nicht, dass dieses Mädchen mit dem lerneifrigen Unschuldsgesicht eine Sammlerin war, eine Archivarin sexueller Erfahrungen. Allesamt enttäuschend, zu trocken, schmerzhaft, Tief- statt Höhepunkte, trostloses Gefummel.
Da hast du es mit einem älteren Mann versucht. Deinem Nachbarn, einem Grafik-Designer, der sich nie zu einem bürgerlichen Dasein durchringen konnte. Der
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