Bis auf die Haut
sagst du ihm, dass er nie mehr so spät anrufen darf. Du sagst ihm, dass du ihn nicht mehr sehen kannst, dass er genug gelernt hat. Die Lektionen sind beendet. Nein, warte, protestiert er. Du legst auf. Dein Anrufbeantworter bleibt von nun an immer eingeschaltet.
Bitte ruf an, spricht er am nächsten Morgen darauf. Wir müssen miteinander reden, müssen die Dinge klären. Ich liebe dich, sagt er, und du erstarrst bei diesen Worten. Ich liebe dich, wiederholt er noch einmal.
Wie oft hast du in deinen Zwanzigern
ich liebe dich
zu Männern gesagt, die nichts darauf zu erwidern wussten? Das ist schön, hat einer gesagt, schön, als würde er deinen Satz in ein Album kleben oder ihn aufspießen wie ein Exemplar einer seltenen Schmetterlingsart und in einem Schaukasten ausstellen. Wie oft ist in dir etwas gestorben, wenn dir diese Worte über die Lippen schlüpften? Und jetzt sind die Rollen vertauscht und du bist diejenige, die den anderen verletzt.
Aber die Situation ist anders, redest du dir ein, es ist das Beste so. Dir wird ganz schwindlig beim Gedanken, wie egoistisch du dich verhalten hast, aber auf die Dauer ist es besser, wenn du jetzt hart bleibst. Du wolltest keine Komplikationen, keine Belastungen, kein Chaos.
Plötzlich bist du ganz mitleidlos, deine Gedanken sind glasklar, als hättest du in deinem Herzen einen Splitter aus Eis.
86. Lektion Wer Opium erst einmal genommen hat, machet sich so sehr zu dessen Sklaven, daß er zuerst nichts mehr ohne und schliesslich nichts mehr mit dem Gifte zustande bringet
Als du eines Montagmorgens hinausgehst, steht Gabriel vor der Tür und läuft die Straße entlang neben dir her. Er redet auf dich ein, du müsstest Cole verlassen, er würde dich schon dazu bringen; du wärst nur zu feige, um nach deinem Glück zu greifen, aber du müsstest neu anfangen.
Er ist so unberechenbar geworden, ist aufgewühlt, unrasiert, sieht aus, als hätte er nicht geschlafen: alles eine Bestätigung, dass du dich richtig entschieden hast. Das also ist die Kehrseite des Schauspielers mit dem sonnigen Gemüt, der immer
auf Sendung
ist und auch im wirklichen Leben seine Rolle spielt. Du beschleunigst deine Schritte. Er holt dich ein, tritt dir fast auf die Fersen. Ohne ihn anzublicken, forderst du ihn auf, nicht mehr zu deiner Wohnung zu kommen und nicht mehr anzurufen. Du gehst in den Zeitungsladen, aber er bleibt dicht hinter dir, streift fast dein Ohr. Schluss jetzt, fährst du ihn an, als du dir eine Zeitung nimmst. Du kennst die Inderin hinter der Kasse, sie macht immer Späßchen, wann du und Cole wohl endlich mal für Nachwuchs sorgen werdet, wobei sie den Kopf leicht schief legt, und durch die stereotype Wiederholung gewinnt ihre Frage noch an Komik. Doch jetzt steht Gabriel neben dir und die Inderin lächelt verwirrt. Du drängst dich an ihm vorbei: Wie kann er es wagen, so rücksichtslos in dein Leben einzubrechen! Er baut sich vor dir auf und packt dich grob an den Schultern, seine Finger graben sich in dein Fleisch.
Hör mir zu, sagt er, hör mir zu.
Verschwinde, sagst du nur und schwenkst an ihm vorbei.
Du kannst nie wieder mit ihm schlafen, du kannst ihn niemals wieder sehen, warum weiß er das nicht? Du kannst dir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn du ihn wieder an dich heranließest. Du stöckelst davon. Gehst eine Runde um den Block. Schaust über die Schulter: Er ist fort.
Du kehrst in deine Wohnung zurück.
Aber was spürst du da für einen Drang in dir, diesen Wahnsinn, der so wütend ausschlägt wie ein Pferd in der Box? Du sitzt auf der Sofakante, zupfst an einem Kissen herum und beißt dir auf die Lippen. Du verstehst diesen Drang nicht, es gleich wieder zu tun, auf der Stelle, am liebsten würdest du aus diesem stillen Zimmer hinausrennen und Männer für anonyme Ficks aufreißen, je mehr, desto besser. Was ist das für ein Trieb in dir, dieser brutale, entsetzliche, maskuline, prächtige, niederträchtige Trieb, der sich nicht zertreten lässt, der zu deiner Bestürzung immer wieder auflebt?
87. Lektion Das Heim der jungen Hausfrau! Vereinen sich in diesen Worten nicht aufs Glücklichste die zärtlichsten Erinnerungen und die höchsten Bestrebungen?
Cole will immer noch Sex auf seine Art, er ist nicht gehorsam genug, doch im Moment ist dir das egal, du willst nur befriedigt, gefüllt werden.
Er zwingt dich, dich selbst zu berühren, er stößt dir deine Finger zwischen die Schenkel und dann in deinen Mund: Schmeck dich, beharrt er, komm schon,
Weitere Kostenlose Bücher