Bis auf die Haut
Glück kommen, sagt Cole, als du deine Beine wieder hinunterplumpsen lässt.
Mhmmm, brummst du, mit dem Kopf ganz woanders.
Komisch, sagt Cole bei einer nächtlichen Tasse Tee, genau in dem Moment, als wir auseinander gedriftet sind, hab ich mich neu in dich verliebt. Mhm, murmelst du und lächelst, zupfst ihm einen Fussel vom Pullover. Du verlierst dich in Gedanken: Vielleicht wirst du dein ruhiges Leben nun wieder aufnehmen, erfrischt und willig, ohne jemals wieder dieses Aufputschmittel zu brauchen. Aber du fragst dich, ob sich diese Nachmittage in einer Stadtwohnung fügsam in Tagträume verwandeln lassen, ob sich die gesamte Erfahrung gehorsam in eine Schachtel mit der Aufschrift »Absolut unwiederholbar« wegräumen lässt, unwiederholbar mit Gabriel oder sonst wem.
Du willst ein Kind, das ist im Moment der einzige deiner Wünsche, der sich klar umreißen lässt. Du bist sechsunddreißig. Du musst jetzt anfangen.
90. Lektion Wenn ein Weib seiner Niederkunft entgegensieht,
sollte es sich mit noch größerer Sorgfalt als sonst dem Heime widmen
Deine Hände ruhen auf deinem Bauch. Du spürst nichts. Du hast keine Ahnung, ob es geklappt hat.
Als Mutter bist du vielleicht tabu für Gabriel, den guten Katholiken, bist Sperrzone, als Sexualobjekt annulliert. Die Anrufe haben aufgehört, aber manchmal sträuben sich dir die Haare im Nacken, du fühlst dich beobachtet. Du bist sicher, dass er irgendwo in der Nähe herumlungert. Du hältst dich nicht mehr in der Nähe des Fensters auf. Draußen drehst du dich manchmal blitzschnell um, ob du ihn nicht dabei ertappst, wie er dich verfolgt.
Er war schon einmal auf eine Frau fixiert, die er zu sehr geliebt hat.
Würdest du wirklich einen Mann wollen, der zu sehr liebt?
Wie lässt sich Liebe messen oder von Schwärmerei, Neugier, Verknalltheit unterscheiden? Du hast immer geträumt, im Leben eines Mannes im Mittelpunkt zu stehen, doch jetzt spürst du, dass das nicht das Richtige ist. Du fühlst dich wie in einem Raum ohne Luft und Fenster eingesperrt.
Und dann sind da noch diese Taxifahrer mit deinem Namen und deiner Adresse. Und diese Frau mit der schmuddeligen Bluse, die dich von einer Seite kennt, von der sonst keiner etwas ahnt, ein widerwärtiger Gedanke. Warum hast du dir nur eingebildet, dass du tatsächlich eine Frau willst, nur weil du von Frauen phantasierst?
Cole ist die einzige Konstante in deinem Leben. Gibt jede Beziehung die Folie für die nächste ab, erhellt die vorangehende? Seltsam, wie die Episode mit Gabriel deine Gefühle für deinen Mann verstärkt hat, dem du dich nun wegen seiner Zuverlässigkeit und ruhigen Art umso stärker verbunden fühlst.
91. Lektion Der Wunsch nach Nachkommen, um dessenthalben
die Mutter sogar bereithwillig einen Theil ihres
Lebens opfert, ist die edelste unserer zutiefst menschlichen Leidenschaften
Du lässt das Glück kommen, wiederholt Cole und drückt seinen Bauch an deinen Rücken, als du nach dem Sonntagsbraten die Töpfe schrubbst. Du lächelst wortlos. Die Welt draußen ist voller Babys, Kinderwägen, schwangerer Bäuche, Tragetücher. Auf einer Party gesteht ein Mann belustigt, dass er in der Mittagspause extra nach Hause fährt, um am Köpfchen seines neugeborenen Sohns zu schnuppern, das wäre die mächtigste nichterotische Erfahrung, die ein Mensch machen könne, Pfannkuchen und Vanille und Haut.
Ah ja, hast du genickt und dich davongemacht.
Du liest in einem Artikel von Germaine Greer, dass die Frauen mit der Mutterschaft bereitwillig eine katastrophale Abnahme ihrer Lebensqualität in Kauf nähmen. Du liest im Tagebuch von Sylvia Plath, dass eine ältere, gestresste, zynische Karrierefrau ihrer Meinung nach in einer schlimmeren Zwangsjacke steckt als eine ausgesprochen kreative Ehefrau und Mutter, die sich intellektuell beständig weiterentwickelt. Hat sie das wirklich geglaubt? Glaubst du es denn?
Du hast keine Ahnung, was dir bevorsteht.
Du willst ein Kind, um alles, was du in den letzten Monaten getrieben hast, aus deinem Leben zu löschen. Du willst ein Baby, damit du jemanden hast, den du mit aller Hingabe lieben kannst, damit dein Leben einen Inhalt bekommt. Du hast Horrorgeschichten gehört, dass man kaum dazu kommt, aufs Klo zu gehen, sich zu duschen oder einen Anruf entgegenzunehmen, wenn man ein Baby hat; bei den Wehen könntest du zwischen Vagina und Anus aufreißen; Sex nach der Geburt sei, als würfe man ein Würstchen in den Ärmelkanaltunnel; manche Männer hassten es, mit einer
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