Bis auf die Haut
lassen. Aha, sagt er. Dann brauch ich etwas Zeit. Sagen wir sechs Uhr.
Du betrittst eine Telefonzelle. Sagst Cole Bescheid, dass du spät nach Hause kommen wirst. Martha hätte ein schreckliches Erlebnis gehabt und müsse sich bei einem Drink ausquatschen. Du verlässt die Telefonzelle und stellst dir vor, wie eine Frau dich leckt und die Männer zuschauen; wie auf dir uriniert wird; wie du gestopft wirst.
Als du die Tür des Hotelzimmers öffnest, trägst du nur einen Bademantel. Du willst nicht, dass sie deine Kleider sehen und irgendwelche Schlüsse auf deine Person ziehen, du willst nicht einmal, dass sie deine Stimme hören.
Zwei Männer diesmal und eine Frau. Sobald du die Frau siehst, stimmt es für dich nicht mehr. Sie ist jung, argwöhnisch, eine Bekannte, keine Sexpartnerin, nur aus Jux dabei. Sie trägt eine weiße Bluse mit einem Schmutzrand am Kragen, was dich stört. Sie taxiert dich, durchschaut dich, weiß sofort mehr über dich, als die Männer je wissen werden. Plötzlich überkommen dich Schamgefühle. Du legst dich unbeholfen aufs Bett. Die Laken sind zu rutschig. Dir ist kalt. Im Nebenraum dröhnt der Fernseher. Es klappt nicht, ist höchst unerotisch, tut weh. Die Frau steht etwas abseits, schaut zu, spielt mit einem Knopf an ihrer Bluse. Du spürst, wie dein Körper Stück für Stück dichtmacht wie die Lichter eines Bürohauses, die abends ausgeschaltet werden, und du stößt die drei weg und forderst sie zum Gehen auf.
Ach, komm schon, sagt der Mann, mit dem alles angefangen hat.
Heute ist er anders, sein Ton gefällt dir nicht.
Verschwindet
einfach.
Du kannst ihnen nicht in die Gesichter sehen, stolperst ins Bad, einen metallischen Geschmack im Mund. Du schließt dich ein und sitzt zitternd auf dem Klo, und plötzlich kotzt du in die Kloschüssel, kotzt und kotzt, als wolltest du dein Inneres nach außen kehren.
Draußen wird die Tür geschlossen; sie sind weg. Der Raum, den sie zurücklassen, sieht billig aus, schäbig und trostlos. Du gehst zum Schrank, sehnst dich nach deinen Kleidern, brauchst dringend die Wärme deines schönen Tweedrocks. Deine Handtasche ist nicht mehr da. Scheiße.
Scheiße
. Mit deiner Brieftasche drin. Mit deinen Kreditkarten und deinem Führerschein. Deinem Namen. Deiner Adresse.
O Gott, bloß das nicht!
Das war die Frau, du hast es ihr von Anfang an angesehen.
Nicht auszudenken!
Du kannst es unmöglich der Polizei melden. Du hast deine Kreditkarte zum Glück an der Rezeption schon durchziehen lassen, aber deine Schlüssel, deine Schlüssel: Die sind in der Manteltasche, Gott sei Dank. Aber dein Name, deine Adresse! Heiße Tränen schießen in dir hoch. Du schleppst dich ins Bad unter den starken, heißen Strahl der Dusche und schrubbst dir die Haut, bis sie wund ist, dann lehnst du dich an die Fliesen und die Tränen und das Wasser fließen an dir herunter. Du sackst in dich zusammen und bleibst zusammengekrümmt ganz lange in der Wanne liegen, heulst und heulst, bis dich der Schluckauf schüttelt. Du drehst den Wasserhahn zu. Eine kleine Ewigkeit lang verharrst du reglos, nass und zitternd. Du hast keine Ahnung, wie du nach Hause kommen sollst. Ein Taxi ist ausgeschlossen, nie wieder in deinem Leben kannst du in ein Taxi steigen, allein oder mit Cole oder sonst wem.
Sie haben deinen Namen und deine Adresse. Sie haben deinen Namen und deine Adresse. Wieder Tränen. Seit Jahren hast du nicht geheult, das holst du jetzt alles nach.
83. Lektion Die Bedeuthsamkeit guten Essens
Vom Hotelzimmer aus rufst du deine Bank an.
Du checkst aus. Dem adretten jungen Mann an der Rezeption erzählst du, du hättest deine Handtasche zu Hause liegen lassen, du weißt nicht, was dich zu dieser Erklärung treibt, du musst dich bremsen, du redest zu viel: Er weiß, dass du lügst.
Cole arbeitet sicher noch; du rufst ihn von einer Telefonzelle aus an und erreichst ihn tatsächlich. Du erzählst ihm, dass deine Handtasche geklaut worden ist und du festsitzt. Ich bin gleich da, sagt er. Du gehst in ein Starbucks in der Nähe und würgst, über eine heiße Schokolade gebeugt, deine Schluchzer hinunter, bis Cole das Café betritt und du dich in seine starken, ruhigen Arme wirfst und die Tränen wieder unaufhaltsam fließen. Er wiegt dich, bis du dich beruhigt hast, geht dann an die Theke und kommt vorsichtig mit einem ganzen Tablett voller Sandwiches zurück, die du nicht essen kannst.
Komm, nehmen wir uns ein Taxi und fahren nach Hause, schlägt er vor, ich hab genug
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