Bis auf die Knochen

Das Gruselige an ihm ist, dass er sich in den wissenschaftlichen Fragen sehr gut auskennt, also kann er die Evolution an ihrer Achillesferse angreifen.«
    » Und die w ä re? «
    » Nun, zum Beispiel die L ü cke bei den Fossilienfunden. Wenn ich es recht verstehe, erwartet man logischerweise, dass Fossilien eine stetige Entwicklung ü ber Millionen von Jahren zeigen, doch stattdessen zeigen sie lange Zeitr ä ume mit winzigen Ver ä nderungen und wenige Ü bergangsformen, und dann tauchen – Rums! – pl ö tzlich explosionsartig neue Arten oder Variationen auf.«
    » Die Evolution vollzieht sich sprungweise «, sagte ich. »Nur weil wir noch nicht verstehen, warum, bedeutet das doch nicht, dass wir aufstecken sollten.«
    » Glauben Sie mir, Bill, ich bin vollkommen Ihrer Meinung. Ich sage nur, dass Bryan klug ist. Er wei ß , wie er die Sache drehen muss, um bei den Leuten auf der Stra ß e Anklang zu finden. Einschlie ß lich Richtern und Geschworenen.«
    » Und wie genau beabsichtigt Mr. Bryan uns das Leben schwer zu machen? «
    » Auf dreierlei Weise, wie ich ger ü chteweise h ö re «, sagte sie. » Erstens, indem er eine Sammelklage gegen Sie, die Universit ä t und den Staat einreicht, wegen Diskriminierung von Studierenden, die an die reine Wahrheit des 6-Tage-Sch ö pfungswerks glauben. Zweitens, indem er beim Verwaltungsrat der Universit ä t eine Petition einreicht, eine Politik zu ü bernehmen, die vorsieht, dass im evolutionsorientierten Unterricht auch alternative Theorien zur Sprache kommen m ü ssen.«
    » Na prima «, sagte ich. » Die alternative Theorie der Indianer, dass Nordamerika auf dem R ü cken einer riesigen Schildkr ö te herumgetragen wird, hat mir schon immer gefallen.«
    » Es leuchtet unmittelbar ein, wie absurd das ist «, sagte sie, » aber ich sage Ihnen, ich kann nicht versprechen, wie das Votum ausfallen w ü rde, wenn die Verwaltungsratsmitglieder sehr unter Druck gesetzt werden.«
    Das war so oder so auslegbar. » Und in welchen dritten Kreis der H ö lle will er uns schicken? «
    » Gesetzgebung nach dem Vorbild des Gesetzes in Louisiana aus dem Jahr 1980, das von Lehrern, die die Evolution unterrichten, verlangt, dass sie auch wissenschaftliche Beweise f ü r die Sch ö pfung vorlegen.«
    » Aber solche Beweise gibt es nicht «, widersprach ich. »Abgesehen davon hat der U. S. Supreme Court dieses Gesetz schon vor Jahren gekippt.«
    » Genau «, sagte sie. » Vor zwanzig Jahren und sechs Richtern. Das Gericht hat sich seither ver ä ndert, es ist sehr viel konservativer geworden. Das heutige Gericht w ü rde ein Gesetz ä hnlich dem, das von dem Gericht 1987 gekippt wurde, wom ö glich best ä tigen. Ein solches Gesetzesvorhaben f ü r Tennessee – und man hat mir gesagt, dass er bereits im Repr ä sentantenhaus und im Senat Unterst ü tzer hat – weist so viele Unterschiede zu dem Louisiana-Gesetz auf, dass der Supreme Court wom ö glich bereit ist, sich der Sache anzunehmen.«
    » Verdammt «, sagte ich, » w ä re das nicht absurd, wenn Bill Brockton – ein Mann, dessen wissenschaftliche Karriere auf evolution ä ren Ver ä nderungen des menschlichen Skeletts basiert – den Kreationisten vor dem Supreme Court zu einem bahnbrechenden Sieg verhelfen w ü rde? « Sie schenkte mir ein r ä tselhaftes Mona-Lisa-L ä cheln. »Noch absurder w ä re es «, sagte ich, » wenn acht Jahrzehnte nach dem Scopes-Prozess, bei dem die Wissenschaft den Kampf in der ö ffentlichen Meinung gewann, P ä dagogen und Gesetzgeber in Tennessee der Wissenschaft den R ü cken kehren w ü rden.«
    Sie stand auf, um zu gehen. » Sie wissen, was Sie jetzt vor allem tun k ö nnen, um zu verhindern, dass das passiert? « Ich wartete. » Halten Sie sich bedeckt.«

12
    Ich hatte meinen Wagen gerade vor der Laderampe hinter der Universit ä tsklinik geparkt, da steckte Miranda den Kopf zur T ü r heraus. » Peggy hat angerufen «, sagte sie. Peggy war die ü berarbeitete Sekret ä rin des anthropologischen Instituts. » Sie sagt, Dr. Carter bittet Sie, sie in ihrem B ü ro in Chattanooga anzurufen. So bald wie m ö glich.«
    Ich eilte hinein und ü berlegte, was meinen R ü ckruf wohl so dringend machte. Mir fiel nichts ein. » Jess, hier ist Bill «, sagte ich. » Stimmt was nicht? «
    » Ich habe nur gerade einen Anruf aus Nashville erhalten «, sagte sie. » Von der Kammer der Medical Examiner.« Das waren die Menschen, in deren H ä nden das Schicksal – und die Approbation – von