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Bis auf die Knochen

Bis auf die Knochen

Titel: Bis auf die Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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vergessen.« Seltsam, wie pr ü de das klang.
    » Komm schon, Bill, das war ein Experiment, eine einmalige Geschichte, und es ist zwanzig Jahre her. Bausch es nicht zu etwas auf, was mich definiert. Zum Teufel, ich habe alles M ö gliche ausprobiert, als ich jung war, du nicht? « Jetzt starrte sie mich w ü tend an; ich hatte, ohne es zu wollen, einen wunden Punkt getroffen. » Ich meine, geh ö rt das nicht dazu, wenn man jung ist und herausfinden will, wer man ist, dass man Dinge ausprobiert und schaut, was zu einem passt? Ich habe es mit einer anderen Frau probiert, und es hat nicht gepasst. Gro ß e Sache. Ich habe mich im College auch ein paar Mal betrunken, aber das macht mich noch nicht zur Alkoholikerin. Auf der Highschool habe ich bei einer Biologiearbeit gemogelt, aber das macht aus mir noch keine Betr ü gerin. Mit sechs habe ich einen Schokoriegel gestohlen, aber ich bin keine Diebin.«
    Ich sch ä mte mich meiner Engherzigkeit. » Es tut mir leid, Jess. Ich beurteile dich nicht danach. Oder vielleicht doch, aber der Teil von mir, der das tut, ist mir nicht besonders sympathisch. Ich bin, sagen wir mal, ungef ä hr zehn Jahre ä lter als du. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, wo selbst heterosexueller Sex unmoralisch war. Ich war auf einem konservativen College, und ich habe mich direkt nach dem Abschluss auf ein sehr traditionelles Leben festgelegt – Ehe und Familie. Mein Horizont war ein wenig enger als deiner. Das bedeutet nicht, dass ich ein enges Herz und einen engen Geist haben will.« Sie wirkte immer noch ver ä rgert. » Bitte «, sagte ich, » das hier ist wichtig f ü r mich. Du bist mir wichtig. Ich wei ß noch nicht, wie wichtig, aber ich h ä tte gerne die Gelegenheit, es herauszufinden. Ich glaube, du vielleicht auch. Ich hoffe es jedenfalls.«
    Ihre Augen loderten, immer noch w ü tend. Und dann, fast unmerklich, wurde sie weicher, gab eine Winzigkeit nach. Ich l ä chelte. Sie l ä chelte. Ich lachte. Sie ebenfalls. »Gott, manchmal machst du mich einfach verr ü ckt. Aber bei dir f ü hle ich mich auch sehr menschlich.«
    » Das ist gut, oder? «
    » Das wei ß ich noch nicht «, sagte sie, doch ihre Augen l ä chelten dabei. » Werden wir je wirklich erwachsen? Manchmal f ü hle ich mich innerlich genauso unbedarft und durcheinander wie mit vierzehn, als ich zum ersten Mal diese unerkl ä rlichen, erregenden, be ä ngstigenden R ü hrungen hatte.«
    » Du meine G ü te «, sagte ich. » Bei der Vorstellung, wie du mit vierzehn warst, ü berkommen mich Erregung und Angst und Schrecken gleichzeitig.« Ich beugte mich vor und hoffte auf einen Kuss. Sie legte mir eine Hand auf die Brust, um mich auf Abstand zu halten. » Nicht hier. Nicht jetzt «, sagte sie. » Aber bald, hoffe ich. Wenn du drau ß en im Prentice Cooper noch ein bisschen Tageslicht haben willst, musst du jetzt wirklich los.« Sie beendete das Gespr ä ch, indem sie unter den Schreibtisch griff und etwas hochhievte: eine kleine K ü hlbox, und als sie sie mir reichte, sp ü rte ich, dass darin etwas Rundes und Schweres verrutschte. Der Kopf des toten Transvestiten.
    Ich stellte die K ü hlbox auf den Tisch, um Schl ü ssel und GPS-Empf ä nger in den ger ä umigen Taschen meiner Cargohose zu verstauen. Dann nahm ich die Box, suchte den Bronco mit Vierradantrieb, den Jess mir f ü r die Fahrt angeboten hatte, und machte mich auf den Weg zum Prentice Cooper State Forest. Hoffentlich hatte ich keinen Unfall, bei dem die K ü hlbox kaputtging, oder wurde von einem neugierigen Polizisten rausgewunken.
    Prentice Cooper lag nur f ü nfzehn Kilometer westlich von Chattanooga, doch es war eine vollkommen andere Welt, sowohl topografisch als auch kulturell. Der gr öß te Teil der gut 10000 Hektar s ä umte die H ä nge und den Rand der Tennessee River Gorge, einer dreihundert Meter tiefen Schlucht, die der Fluss durch die s ü dlichen Ausl ä ufer der Appalachen gegraben hatte. Zus ä tzlich zu dem GPS, das mich zu dem exakten Punkt f ü hren w ü rde, wo die Leiche gefunden worden war, hatte ich noch eine topografische Karte der Gegend dabei. Um zu dem Wald zu gelangen, musste ich rund acht Kilometer nach Westen fahren, und zwar auf dem State Highway 27, der zwischen dem Fu ß des Signal Mountain und dem n ö rdlichen Ufer des Flusses entlangf ü hrte. Dann bog der Highway nach Norden ab, in eine kleinere Seitenschlucht hinein, die der Suck Creek gegraben hatte, der – der topografischen Karte zufolge – sich irgendwann

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