Bis auf die Knochen
Nachricht aus meiner Hemdtasche, versiegelte sie in einem Zipplock-Beutel und etikettierte diesen. »Sie wissen, wohin Sie morgen kommen m ü ssen, richtig? «, fragte Evers. Ich nickte. » Inzwischen wollen wir versuchen, die Sache hier streng unter Kontrolle zu halten. Wir w ä ren Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns dabei helfen w ü rden. Falls Sie Anrufe von den Medien bekommen, was wahrscheinlich ist, dann verweisen Sie sie einfach an uns.«
» Mache ich.«
Evers stand auf, was wohl f ü r mich das Stichwort war, es ihm nachzutun. Er brachte mich zum Tor und hob das gelb-schwarze Absperrband so weit hoch, dass ich mich nicht allzu tief b ü cken musste. Dann wandte er sich an einen uniformierten Beamten, der, ein Klemmbrett in der Hand, vor dem Tor stand. » Ich gehe nicht «, sagte er, » aber er. Das ist Dr. Bill Brockton von der University of Tennessee. Dr. Brockton war schon drin, als der Tatort abgesperrt wurde, er steht also nicht auf Ihrer Liste. Sie m ü ssen seinen Namen hinzuf ü gen, und notieren Sie unter Ankunftszeit ›nicht bekannt‹. Er verl ä sst den Tatort um «, er schaute auf seine Uhr, » neun Uhr achtunddrei ß ig.« Der Beamte nickte und tat wie ihm gehei ß en.
Zwanzig oder mehr Einsatzfahrzeuge dr ä ngten sich in der nord ö stlichen Ecke des Parkplatzes, bei einigen drehte sich noch das Blaulicht. Einige standen auf Parknischen zwischen den Autos der Krankenhausangestellten; andere verstopften die Wege zwischen den geparkten Autos und standen auf dem Grasstreifen am ö stlichen Rand des Parkplatzes. Hundert Meter weit weg, in der s ü d ö stlichen Ecke, wo ebenfalls ein Bereich mit Absperrband abgetrennt war, entdeckte ich eine Schar Medienfahrzeuge – haupts ä chlich Gel ä ndelimousinen von Nachrichtenteams, aber auch zwei Ü bertragungswagen vom Fernsehen mit ausgefahrenen Antennen. An dem gelben Band dr ä ngte sich ein halbes Dutzend Stative mit einem halben Dutzend Kameras darauf, deren Linsen s ä mtlich auf mich gerichtet waren. Ich drehte mich um, ging hinten um meinen Wagen herum, stieg ein und setzte r ü ckw ä rts aus meinem Parkplatz.
Als ich den H ü gel hinunter zum Ausgang des Parkplatzes fuhr, tauchte aus Richtung Leichenschauhaus ein schwarzer Chevy Tahoe auf, der zur Body Farm bretterte. Im Vorbeifahren erhaschte ich einen Blick auf den Fahrer: Garland Hamilton. Ein Medical Examiner raste an einen Mordschauplatz, wo die Leiche eines anderen Medical Examiners auf ihn wartete.
25
Meine Vorlesung, die knapp eine Stunde, nachdem ich den Tatort verlassen hatte, begann, brachte ich wie ein Schlafwandler hinter mich. Ich hatte ü berlegt, sie abzusagen, aber was w ü rde ich in der Stunde machen, wenn ich die Vorlesung absagte? Also lehrte ich forensische Anthropologie. Oder tat zumindest das, was ich sonst auch tat, wenn ich lehrte. Am Ende der Vorlesung h ä tte ich nicht sagen k ö nnen, ü ber welches Thema ich gerade eine Stunde lang geredet hatte. Das Einzige, was in mein Bewusstsein drang, war die auff ä llige Abwesenheit meines kreationistischen Studenten Jason Lane.
Nach der Vorlesung steuerte mein Autopilot mich in mein B ü ro; zum Gl ü ck f ü hrten die Gehwege und Rampen vom McClung-Museum zum Stadion alle abw ä rts; sonst h ä tte ich kaum die Energie oder den Willen aufgebracht, sie zu nehmen. Die beiden Treppen hinauf in mein Refugium schafften mich v ö llig. Endlich im B ü ro, schloss ich die T ü r hinter mir, was ich sehr selten tat und was daher ein Zeichen f ü r ernste Schwierigkeiten war. Ich lie ß mich auf meinen Schreibtischstuhl plumpsen und starrte aus den schmutzigen Fenstern durch das Gewirr aus Tr ä gern auf … ja, worauf? Nicht auf den Fluss, obwohl er weiterhin durch die Innenstadt und am Campus vorbeifloss. Nicht auf die H ü gel ü ber dem gegen ü berliegenden Flussufer, obwohl sie auch weiterhin gr ü n und massiv waren. Nicht auf den Himmel oder auf die Sonne, obwohl sie unerkl ä rlicherweise weiterhin gef ü hllos strahlten.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, je m üß ig in meinem B ü ro gesessen und nichts getan zu haben. Es war nicht so, als h ä tte ich nichts zu tun gehabt – ich musste einen Stapel Arbeiten benoten, ich musste mindestens ein Dutzend Artikel f ü r drei anthropologische und forensische Fachzeitschriften pr ü fen, in deren Herausgebergremium ich sa ß . Dann war da noch die Ü berarbeitung des Lehrbuchs, die ich schon vor fast einem Jahr zugesagt hatte, eine Aufgabe, die immer hinter den
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