Bis das Blut gefriert
Mit der Spitze des rechten Zeigefingers fuhr sie durch eine Fuge. Augenblicklich blieb die Flüssigkeit an der Haut kleben. Rosanna hielt ihren Arm hoch und drehte ihn etwas mehr dem Licht zu, um alles genau erkennen zu können.
Die Spitze des Fingers war kalt, und sie war rot. Rot vom Blut!
***
Wir hatten wirklich nicht lange zu fahren brauchen, um das Ziel in den Bergen um Rom zu erreichen. Der Ort mit dem Namen Limano wirkte so, als wäre er in die Berge hineingebaut worden. Er war uneben, es ging rauf und runter. Das Pflaster bestand aus Kopfsteinen, die Häuser standen dicht zusammen, und oft genug gab es keine Lücken zwischen ihnen.
Hinter manchen Rückseiten stieg der blanke Fels in die Höhe und gab noch mehr Schatten, was hier auch nötig war, denn der Schein der Sonne knallte ungehindert auf Mensch und Tier.
Ein Bau war besonders gut zu erkennen. Er stand an der höchsten Stelle und überragte mit seinem Turm alles. Es war die Kirche von Limano, um die herum auch ein Friedhof entstanden war, an dessen Rand Father Ignatius stoppte.
Aus der Kühle der Klimaanlage stiegen wir hinein in die Hitze. Die Luft hatte die morgendliche Kühle längst verloren. Es wehte auch kaum Wind, und die Sonne schien noch durch ein Brennglas verstärkt worden zu sein. Ich schaute mich ebenso um wie mein Freund Bill. Uns lagen praktisch die Häuser zu Füßen. Wir schauten in die schmalen Gassen hinein und sahen auch die breitere Straße, die wir genommen hatten, nachdem das quirlige Rom hinter uns lag. Sie führte weiter in die Ebene hinein, über der die sommerliche Hitze als zittriger Dunst lag.
Father Ignatius hatte vorgeschlagen, zunächst einmal mit dem Pfarrer zu sprechen. Er war praktisch unser einziger Hinweis in diesem Fall. Wir hofften, dass er uns weiterhelfen würde, aber das blieb abzuwarten, denn Ignatius hatte sich selbst ein wenig skeptisch gezeigt. Ihm war der Pfarrer seltsam vorgekommen. Er konnte sein Verhalten nicht erklären, besonders nicht sein schon fluchtartiges Verlassen seines Büros, als wäre Camino froh gewesen, die Stätte endlich hinter sich lassen zu können.
Ich trat an Ignatius heran und fragte: »Lebt er auch hier in der Nähe?«
»Das kann ich dir nicht sagen, John. Ich nehme an, dass wir ihn in der Sakristei finden.«
»Okay.«
Wir gingen auf die Kirchentür zu. Die Kirche selbst war ein helles Bauwerk, und nur die Holztür sah aus wie ein dunkelbrauner Fleck. Den Friedhof ließen wir links liegen. Das kleine Areal wirkte sehr gepflegt. Die kleinen Votivbilder auf den Kreuzen und Grabsteinen schimmerten im hellen Licht der Sonne.
Als Bill sich den Schweiß von der Stirn wischte, sprach ich ihn an. »Na, bereust du es jetzt? Wärst du lieber in Rom geblieben?«
»Kann ich nicht sagen. Ich warte zunächst einmal ab, was uns noch alles widerfährt.«
Erst einmal nichts Großartiges. Wir bewegten uns auf die Tür zu, die unverschlossen war. Father Ignatius konnte sie locker öffnen, und wir lauschten dem Knarren. Dann schob er sich in die Kirche hinein und erreichte als erster die wunderbare Kühle, in der es auch nach Weihrauch roch, als hätte dieser sich in den hellen Wänden festgesetzt.
Hell waren auch die Bogenfenster, wenn auch nicht besonders groß, aber das Licht fiel von zwei verschiedenen Seiten in die Kirche hinein. In der Mitte teilte ein Gang die beiden Sitzreihen aus dunklem Holz. Bis zum Altar war es nicht weit, doch der bestand einfach nur aus einer schmucklosen Platte.
Das wäre nicht tragisch gewesen, wenn uns nicht etwas anderes gestört hätte. Die Kirche war einfach zu kahl!
Ich sah kein Kreuz. Ich sah keinen Blumenschmuck, keine Bilder oder Figuren. Es war einzig und allein ein nackter Raum. Dass es einmal die Bilder und Stationen eines Kreuzwegs gegeben haben musste, war an den hellen Flecken an der Wand zu sehen. Irgendjemand musste sie abgehängt haben.
Ignatius blieb stehen und drehte sich zu uns um. Schon in seinem Gesicht stand zu lesen, dass er sich über das Innere dieser Kirche ebenfalls wunderte.
»Sprich es aus!«, flüsterte ich ihm zu.
»Ich wundere mich über die Kirche. Sie ist...«, er blies die Luft aus, »irgendwie leer.«
»Ja, ohne Schmuck.«
»Man hat ihn abgehängt«, sagte Bill leise. »Aber warum? Warum ist das alles weggenommen worden?«
»Darauf wird uns Pfarrer Camino eine Antwort geben können«, sagte Ignatius.
»Falls wir ihn finden.«
Ignatius schüttelte den Kopf. »Du bist ziemlich pessimistisch,
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