Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
hereingelegt hatte? Oder dass er seinen Weg von ganz unten zurück nach oben durch Betrug erschwindelt hatte? Wollten sie ihn auf seinen Platz verweisen? Oder trauten sie ihm einfach nicht?
Ich schloss die Augen, spürte, wie eine Träne meine Nase entlangrann. Ich nehme alles zurück, dachte ich. Ich hatte das verzweifelte Bedürfnis, Patch anzurufen, aber ich wusste nicht, ob ich ihn damit irgendwie gefährdete. Konnten die Erzengel Telefongespräche abhören? Wie sollten Patch und ich ein ehrliches Gespräch führen, wenn sie mithörten?
Außerdem konnte ich meinen Stolz nicht so schnell überwinden. Merkte er denn nicht, dass er genauso falsch lag wie ich? Warum hatten wir denn überhaupt zu streiten angefangen? Weil er mir nicht hatte sagen wollen, was er in der Nacht an Marcies Haus gemacht hatte. Ich war nicht der
eifersüchtige Typ. Aber er kannte meine Vorgeschichte mit Marcie. Er wusste, dass ich es wissen musste.
Und da war noch etwas, was mein Innerstes in Aufruhr versetzte. Patch hatte gesagt, dass Marcie auf der Herrentoilette in Bo’s Arcade angegriffen worden war. Was hatte Marcie bei Bo’s zu suchen? Soweit ich wusste, ging niemand von der Coldwater High zu Bo’s. Um genau zu sein, bevor ich Patch kennenlernte, hatte ich noch nicht einmal von dem Ort gehört. War es Zufall, dass Marcie am Tag, nachdem Patch zu Marcies Zimmerfenster hochgeblickt hatte, bei Bo’s hereinspaziert war? Patch bestand darauf, dass die Sache zwischen ihnen etwas rein Geschäftliches war, aber was sollte das überhaupt heißen? Und Marcie war vieles, unter anderem verführerisch und überzeugend. Nicht nur, dass sie ein Nein nicht als Antwort gelten ließ, sie ließ überhaupt keine Antwort gelten, die ihr nicht gefiel.
Und was, wenn es dieses Mal … Patch war, den sie wollte?
Ein lautes Klopfen an der Haustür brachte mich in die Wirklichkeit zurück.
Ich rollte mich unter dem Haufen Kissen auf meinem Bett zusammen, schloss die Augen und rief meine Mutter an. »Die Parnells sind hier.«
»Mist! Ich stehe in der Walnut an der Ampel. In zwei Minuten bin ich da. Lass sie herein.«
»Ich kann mich an Scott kaum erinnern, und an seine Mutter überhaupt nicht. Wenn du willst, lasse ich sie herein, aber ich werde sie nicht unterhalten. Ich bleibe in meinem Zimmer, bis du zurück bist.« Ich versuchte, ihr mit meinem Tonfall klarzumachen, dass etwas nicht stimmte, aber ich konnte meiner Mutter in der Angelegenheit nicht wirklich vertrauen. Sie hasste Patch, also würde sie kein Mitgefühl haben. Freude und Erleichterung in ihrer Stimme könnte ich aber nicht ertragen. Nicht jetzt.
»Nora.«
»Gut! Dann rede ich eben mit ihnen.« Ich klappte mein Handy zu und warf es durchs Zimmer.
Ich ließ mir Zeit, als ich zur Haustür ging und den Riegel zurückschob. Der Typ, der auf der Matte stand, war groß und gut gebaut – ich konnte das sehen, weil sein T-Shirt eher eng saß und unverhohlen PLATINUM GYM, PORTLAND verkündete. Ein Silberring steckte in seinem rechten Ohrläppchen, und seine Levi’s spielte gefährlich tief um seine Hüften. Er trug eine rosa Baseballkappe mit Hawaiimotiven, die aussah, als käme sie geradewegs aus einem Secondhandladen und sei ein Insiderwitz, und seine Sonnenbrille ließ mich an Hulk Hogan denken. Trotz allem hatte er einen gewissen jungenhaften Charme.
Seine Mundwinkel bogen sich nach oben. »Du musst Nora sein.«
»Und du Scott.«
Er trat ein und nahm die Sonnenbrille ab. Sein Blick wanderte durch den Flur nach hinten zur Küche und zum Wohnzimmer.
»Wo ist deine Mutter?«
»Mit dem Abendessen auf dem Weg hierher.«
»Was bekommen wir denn?«
Mir gefiel es nicht, wie er das Wort »wir« gebrauchte. Es gab kein »wir«. Es gab die Familie Grey und die Familie Parnell. Zwei verschiedene Einheiten, die nur heute Abend zufällig denselben Abendbrottisch teilten.
Als ich nicht antwortete, machte er weiter. »Coldwater ist ein bisschen kleiner, als ich es gewohnt bin.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist auch ein bisschen kälter hier als in Portland.«
Er sah mich von oben bis unten an, dann lächelte er fast unmerklich. »Das hab ich schon gemerkt.« Er ging um mich
herum in die Küche und zog an der Kühlschranktür. »Habt ihr Bier?«
» Was? Nein.«
Die Haustür stand noch offen, und von draußen drangen Stimmen herein. Meine Mutter trat über die Schwelle, im Arm zwei braune Papiertüten mit Essen. Eine rundliche Frau mit einem schlechten, fransigen
Weitere Kostenlose Bücher