Bis dass der Tod uns scheidet
Jederzeit könnte mich jemand verfolgen oder ich ihn – so oder so brauchte ich die Kondition dafür.
Ich kam an unsere große schwarze Tür und blieb stehen. Das Blut, das mir durch die Adern hämmerte, hatte mich auf einen Gedanken gebracht, und ich wusste, wenn ich erst mal in der Wohnung war, könnte er mir wieder entfallen. Ich schickte Mardi eine SMS: Downloade Bild von der Klientin heute. Sagte, sie sei Chrystal Tyler, ist sie aber nicht. Ruf die letzte Suche von mir auf und schau, ob du einen Namen für sie findest. Vielleicht eine Verwandte, wahrscheinlich eine Schwester. Danke.
Ich hätte Mardi auch anrufen können. Sie hätte abgehoben und versprochen, den Job zu erledigen. Doch die beste Möglichkeit, mit jungen Leuten zu kommunizieren, ist über das winzige Display. Sie denken dran, speichern und erinnern sich ganz genau an die SMS-Texte ihres Lebens. So bleiben sie in Kontakt und vermeiden nebenbei die übermäßige Aufregung und die unvermeidlichen Ungenauigkeiten des Gehörten. Vielleicht werden in der Zukunft all unsere Erinnerungen auf kleinen Dingern in unseren Hand- und Hosentaschen abgespeichert sein. Leute wie ich werden dann ihr Geld damit verdienen, nach verlorenen und gestohlenen elektronischen Erinnerungen zu suchen.
»Wer war ich, Mr. McGill?«, würde der mögliche Klient meinen Nachkommen fragen.
»Ich kümmere mich gleich darum, Mr. John Doe. Überweisen Sie nur den Betrag auf mein Konto in Panama.«
Ich drehte einen besonderen elektronischen Schlüssel im Schloss, und zwei Riegel – einer am Knauf, einer im Boden – glitten auf.
In der Wohnung war es trügerisch still. Man hätte es auch friedlich nennen können, wenn man nichts von den Problemen gewusst hätte, die darin schwelten.
Ich ging den Flur entlang zu dem Sanatorium, das früher mal mein Büro gewesen war. Ich öffnete die Tür und fand meine Frau und meinen besten Freund im Bett vor.
Er lag mit nacktem Oberkörper rücklings auf drei Kissen, sie saß neben ihm und flößte ihm mit einem antiken Silberlöffel, den sie von ihrer ungeliebten Tante Gertie geerbt hatte, Suppe ein.
Gordo, ein außergewöhnlicher Boxtrainer, lag im Sterben, Magenkrebs, und meine untreue Ehefrau pflegte ihn.
Das Zimmer war makellos sauber, und meinem Freund war es so angenehm, wie es einem Mann nur sein kann, der nach drei Runden aggressiver Chemotherapie in einem fremden Bett im zehnten Stockwerk liegt und von der Zukunft nichts anderes mehr erwarten kann als ein Loch in der Erde.
Auf der anderen Bettseite saß die Pflegerin Elsa Koen, Mitte vierzig, eine rothaarige, sanftmütige Deutsche. Sie sprach leise mit Gordo. Er schluckte schwer, so als versuchte er, einen Löffel voller Glassplitter zu schlucken.
Erst bemerkten sie mich nicht. Die Frauen richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf Gordo, der die Schmerzen des langsamen Sterbens zu ertragen hatte.
Ich tat einen Schritt ins Zimmer, und er sah mich. Typisch Gordo – er nahm jede Bewegung wahr, ob im Ring oder außerhalb. Er beugte sich vor, so als wollte er sich hinknien. Elsa legte ihm eine Hand auf die Brust und die andere hinter den Kopf, um ihm zu helfen. Gordo war einer der unabhängigsten Menschen, die ich kannte, aber er akzeptierte die Hilfe der Deutschen stoisch, ja vielleicht sogar mit einer Spur Dankbarkeit.
Katrina wandte mir ihr schönes, nur leicht überarbeitetes Gesicht zu. Sie versuchte zu lächeln, doch sie liebte Gordo fast ebenso sehr wie ich. Unsere Differenzen hatten ihre Leidenschaft keineswegs gemildert.
»Leonid«, sagte sie und erhob sich vom gemieteten Krankenhausbett.
»Hallo, Gordo«, meinte ich nur. »Was hab ich dir darüber gesagt, mit meiner Frau ins Bett zu steigen?«
Elsa lächelte und drückte dem alten Mann ein weiteres Kissen in den Rücken.
»Sie hat gesagt, es würde dir nichts ausmachen«, krächzte er. Seine Sandpapierstimme kam nicht von der Krankheit, sondern war ganz einfach das, was nach mehr als fünfzig Jahren, in denen er seine Boxer angebrüllt hatte, entweder zu trainieren oder zu krepieren, davon übrig geblieben war.
Elsa stand auf, und die beiden Frauen kamen auf mich zu.
Man konnte nicht erkennen, wo Katrinas Facelifting ansetzte, auch nicht, dass ihr strahlend blondes Haar nicht natürlich war. Wenn einem jemand gesagt hätte, dass sie einundfünfzig war, wäre man überrascht gewesen, aber das waren nur ihre kleinsten Geheimnisse.
Sie gab mir einen Kuss auf die Wange, wozu sie sich ein wenig herunterbeugen
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