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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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ihn älter wirken, sein Geisteszustand wiederum erinnerte an einen erheblich jüngeren Mann. Ich hatte ihn am Haken, aber das war mir kein Trost. Ging es zu einfach, dann lief normalerweise irgendetwas schief.
    »Ich muss nach Hause, Mann«, erklärte er mir und hustete wieder.
    »Vinegar Hill?« Mardis Suche war gründlich gewesen.
    »Ja«, antwortete er mit großen, rotbraunen Augen.
    Ich hielt ein Taxi an, und wir stiegen ein. Nachdem wir beide die Türen zugeschlagen hatten, nannte Tally dem Fahrer seine Anschrift.
    »Ich fahre nicht nach Brooklyn«, erklärte der ausländische weiße Mann mittleren Alters.
    Ich lächelte und dachte, dieser Ärger sei wohl genau die Stolperschwelle, die ich brauchte.
    »Wir steigen erst aus, wenn wir vor dem Haus stehen, dessen Adresse Ihnen mein Freund gegeben hat.«
    »Ich weiß nicht, wie man dahin kommt«, entgegnete der Fahrer.
    »Sie nehmen die Brooklyn Bridge …«, fing Tally an.
    »Ich fahre nicht!«
    »O doch, mein Freund«, sagte ich ruhig. »Wenn nicht, bleiben wir den ganzen Tag hier sitzen.«
    Der Mann drehte sich auf seinem Sitz um und zeigte uns einen weißen hölzernen Schlagstock von etwa sechzig Zentimetern. Tally griff schon nach dem Türgriff, doch ich legte ihm eine Hand auf den Unterarm und lächelte unseren Fahrer mit seinem Schnurrbart an.
    »Hör mal, Bruder«, erklärte ich mit ruhiger, aber drohender Stimme. »Ich stehe schon mein ganzes verdammtes Leben lang im Ring. Wenn du mich mit diesem Stock da schlägst, werde ich dich verprügeln, bis dein eigener Bruder dich nicht wiedererkennt.«
    Ich meinte, was ich sagte, der Fahrer sah das. Er drehte sich um und legte einen Gang ein.
    »Wo lang?«, fragte er.
     
    Auf der Brooklyn Bridge fing ich mit dem Verhör an.
    »Haben Sie jemals mitbekommen, dass Cyril gewalttätig war oder Chrystal bedroht hat?«, fragte ich.
    »Nein, Mann. Aber wissen Sie, ich hatte eh nie viel mit ihm zu schaffen. Das einzige Mal, dass wir wirklich miteinander gesprochen haben, war bei der Hochzeit, und selbst da war das so, als ob er überhaupt nicht mit mir reden würde.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Das war einfach nur ’n Haufen Gequatsche. Er hat geredet, aber nicht zugehört, dann ist er weitergegangen, als ob ich Luft wär.«
    »Sie mochten ihn also nicht?«
    »Bin ja nicht ich mit dem Arschloch verheiratet«, entgegnete er und wurde lauter.
    Der Fahrer schaute nervös in den Rückspiegel.
    Von seinem Ausbruch musste Tally wieder husten.
    »Stand ihm Shawna nahe?«, fragte ich, als er seine Lungen wieder unter Kontrolle hatte.
    »Shawna interessiert sich für niemanden, Mann. Deswegen hab ich mich ja gewundert, warum sie Sie geschickt hat.«
    Diese geschwisterliche Enthüllung gab meinen Spekulationen hinsichtlich Shawnas Motiv neue Nahrung.
    »Sie würde sich Sorgen machen, hat sie gesagt«, erklärte ich. »Sie hat mir das Geld für die Kaution gegeben.«
    »Ja«, meinte er nur. »Da wett’ ich drauf.«
    Irgendetwas steckte hinter diesem Satz, aber es würde wohl länger als eine Taxifahrt dauern, um das herauszubekommen.
     
    Wir kamen nach Brooklyn, und Tally lotste den zögerlichen Fahrer durch ein Straßenlabyrinth bis zu einem Haus in einer heruntergekommenen Gegend.
    Wir stiegen aus, ich gab dem Fahrer einen Fünfziger und sagte: »Den Rest können Sie behalten.«
    »Fuck you, Nigger«, sagte er und trat aufs Gas.
    Ich grinste und sah dem gelben Taxi nach, das sich die Straße entlang durch den Verkehr davonschlängelte. Der Mann war Osteuropäer und kannte sich mit amerikanischem Rassismus noch nicht aus. Er hatte mich treffen, hatte seine Furcht und Ablehnung zum Ausdruck bringen wollen. In Wahrheit hatte ich ihn unterdrückt.
    Es gibt unter den Menschen keinen Ausgleich, wenn nicht rings um sie alles gleich ist. Das hatte mein Vater zu mir gesagt. In dieser verwohnten Straße in Brooklyn verstand ich langsam die Bedeutung des Satzes.
    »Kommen Sie, Mr. McGill«, sagte Tally hinter mir.
    Er ging eine Gasse zwischen zwei fünfstöckigen Mietshäusern entlang. Ich folgte ihm, bis wir auf einen kleinen Freiplatz kamen, auf dem ein winziger Verschlag aus Teerpappe hockte wie eine krepierende Ratte.
    »He, Arschloch!«, rief eine Stimme.
    Ich schaute nach links und sah zwei gutgebaute junge Schwarze auf uns zukommen. Beide trugen Straßenuniform – schwarze Lederjacken und Jeans. Tally tat einen Schritt zurück.
    »Ach, da liegt also der Haken«, sagte ich laut.
    »Hast du was gesagt, Arschloch?«, fragte der

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