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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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schaute zur Tür hinüber, und ich musste ein Lächeln unterdrücken.
    »Wo soll ich denn hin?«
    »Ich habe einen Freund in der Bronx, der hat eine Billardhalle, die sauber gehalten werden muss, und eine Bleibe für einen Hausmeister. Ich kann ihn darum bitten, Sie für ein, zwei Wochen dort wohnen zu lassen. In der Zwischenzeit besorge ich Ihnen einen Anwalt, der Ihren Fall übernimmt.«
    »Warum wollen Sie mir helfen, Mann?«
    »Ich bin von einer Frau engagiert worden, von der Sie sagen, dass ich ihr nicht vertrauen kann. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nicht nur Ihr Wort darauf, ich habe selbst so meine Zweifel. Vielleicht brauche ich Sie also später noch, um mir zu helfen. Und die einzige Möglichkeit, sicherzugehen, dass Sie das auch tun, ist, jetzt Ihnen zu helfen.«

15
    Ich rief meinen Anwalt Breland Lewis an und erzählte ihm von Tally.
    »Sag ihm, er soll mich morgen Nachmittag anrufen«, sagte er. »Shirley wird alles notieren und einen Termin mit ihm ausmachen. Tut mir leid, LT, aber ich habe in ein paar Stunden einen Gerichtstermin und muss mich noch vorbereiten.«
    Breland hatte es eilig, aber das war mir recht. Ich rede nicht gern mit Anwälten – selbst wenn sie meine Freunde sind.
     
    »Wie du meinst, LT«, meinte Luke Nye am Telefon. »Was ist denn mit dem Burschen?«
    »Lass dein Familiensilber nicht herumliegen«, antwortete ich.
    Wir packten Xbox und Computer, ein paar Comics und ein Ringbuch mit liniertem Papier in einen Koffer. Tally schleppte sein Gepäck zu einem Fahrservice vier Blocks weiter, und ich bezahlte den Fahrer im Voraus für die lange Fahrt in die Bronx.
    Ich schaute dem zerschundenen dunkelgrünen Cadillac nach und fragte mich, ob Tally wohl wirklich bei Luke sein würde, wenn ich ihn brauchte – falls ich ihn brauchte. Er war ein hoffnungsloser Fall, selbst nach meinen Maßstäben. Ich mochte den Burschen irgendwie.
     
    Ein paar Minuten lang stand ich vor dem winzigen Büro des Fahrservice und dachte an den jungen Mann und sein Leben, wenn man es denn so nennen konnte. Amerika war mit einem zerschlissenen Seil aus Millionen junger Männer und Frauen wie ihm an seine Herkunft gefesselt. Kein Wunder, dass so viele von diesen jungen Leuten keine Ahnung von ihrer Geschichte und keine Zukunftsaussichten hatten, nur das, was ihnen das Fernsehen eintrichterte.
    In dem Augenblick kam mir diese Erkenntnis sehr wichtig vor. Ich muss wohl ziemlich bescheuert ausgesehen haben, wie ich da in einem dunklen Anzug in der sengenden Sonne stand, schwitzte und die leere Straße entlangstarrte.
    Schließlich beschloss ich, zu meinem nächsten Treffen zu Fuß zu gehen. Die Anstrengung, fand ich, konnte eine Art Buße dafür sein, so viele junge Kerle wie Tally fallengelassen zu haben.
     
    Es war ein schöner Tag, Hunderte von Menschen waren unterwegs, schlenderten und joggten, rannten und radelten über die Brooklyn Bridge. Sie sprachen Französisch und Mandarin, Spanisch und Russisch, verschiedene englische Dialekte und Südstaatensingsang. Fahrräder huschten an mir vorbei, händchenhaltende Liebespaare drängten mich ungewollt auf die Radspur. Jogger fädelten sich zwischen den Touristen und Liebespärchen hindurch, und jeder sechste oder siebte Fußgänger sprach in ein Handy. Am Himmel blühten Wolken über dem dunklen, sehnigen East River, und mein Schädel war bedeckt von Schweißperlen.
    Die Brücke machte mich immer glücklich. Tally und Two Dog und Big Boy würden leben oder sterben, aber die Brücke würde noch immer stehen und die Welt mit einer Geschichte verknüpfen, die nicht vergehen konnte.
     
    Das Seniorenheim der Pristine Enterprises lag am Rector Place mitten in Battery Park City. Es handelte sich um ein Gebäude in Rosa und Klarglas, das einen halben Block einnahm. Der Empfangstresen war geschwungen und stand auf einer erhöhten Plattform, die es der kupferhäutigen Empfangsdame (auf deren Namensschild D. DIAZ stand) erlaubte, auf einem Drehstuhl zu sitzen, statt stehen zu müssen und sich Krampfadern und schlechte Knie zu holen.
    Ms. Diaz war dürr und hatte ein verkniffenes Gesicht. Hinter ihr lag ein großer, kreisrunder Raum, in dem eine bunte Vielfalt an Sesseln stand, dazwischen einheitliche, dunkelorange Sofas. Das Mobiliar wurde von etwa einem halben Dutzend Senioren und ihrem Besuch bevölkert. Die Raumdecke war hoch und schob irgendwie den drohenden Tod beiseite. Durch die Fenster fiel reichlich Licht.
    Ich wischte mir den fast kahlen Kopf mit einer

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