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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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konnte.
    »Darf ich hereinkommen, Ma’am?«
    »Bitte sehr.«
    Sie war über siebzig und ein bisschen unsicher auf den Beinen. Wir warteten einen Augenblick, bis sie zur Seite getreten war. Ich ging ins Wohnzimmer. Es hatte eine gute Größe und war fast leer. Kein Teppich auf dem Boden, keine Vorhänge am kleinen Fenster. Mitten im Raum standen ein dunkler Tisch, Eiche vielleicht, und zwei Metallklappstühle. Auf dem Boden unter dem Fenster lag ein Stapel Papier, neben der Tür, die weiter in die Wohnung führte, ein Kissen.
    »Frühjahrsputz?«, fragte ich.
    »Was?«
    »Wo sind Ihre Sachen?«
    »Ich hasse Unordnung, Mr. Thurman«, erklärte sie. »Ich habe meine Großnichte gebeten, alles wegzuwerfen oder zu verkaufen, was ich nicht brauche.«
    »Kein Fernseher? Kein Radio?«
    »Das Radio steht an meinem Bett, und im Fernsehen läuft doch nur ein Haufen Mist.«
    Ich grinste, und sie sagte: »Setzen Sie sich.«
    Sie lächelte mich an und wirkte ganz so, als seien wir alte Freunde, die sich nach vielen Jahren der Trennung wiedersahen.
    »Darf ich Ihnen einen Portwein anbieten?«, fragte sie.
    »Sicher.«
    Sie taperte zur Tür neben dem Kissen hinaus, und ich saß da und plante sorgfältig, wie ich wieder in Cyril Tylers Haus gelangen würde.
    Es gefiel mir nicht, dass er mich bei der Polizei angeschwärzt hatte. Meiner Meinung nach war das ein schmutziger Trick. Ich wollte ihn zur Rede stellen, doch zuerst musste ich die Behauptung der Kinder hinsichtlich ihrer Mutter überprüfen – und das ging erst nach Sonnenuntergang.
    Ich lächelte den Streifen Sonnenlicht auf den Hartholzdielen an und dachte: Die Dunkelheit ist mein Freund .
    Miss Highgate kehrte mit einer Flasche in der linken und zwei winzigen grünen Gläsern in der rechten Hand zurück. Sie stellte alles auf den schmucklosen Tisch und nahm den anderen Stuhl.
    »Gießen Sie bitte ein?«, bat sie. »Mir zittern manchmal die Hände, und das ist der gute Port.«
    Mir gefielen ihre Worte, ich zog den korkbesetzten Stopfen aus der Flasche und goss uns beiden ein wenig ein.
    Der Port war tatsächlich gut.
    »Lee war Ihr Onkel, sagten Sie?«, fragte sie zu Beginn unseres zweiten Glases.
    »Der Bruder meines Stiefvaters«, korrigierte ich sie.
    »Ich wollte schon sagen, dass Sie ihm gar nicht ähnlich sehen.«
    Ein Versuch, witzig zu sein – dachte ich.
    »Sollen wir uns mal die Bücher anschauen?«, schlug ich vor.
    »Schenken Sie mir wohl bitte noch mal nach?«
    Das tat ich gern.
    »Was sind Sie denn von Beruf, Mr. Thurman?«
    »Fahrstuhlinspektor«, antwortete ich. »Ich bin derjenige, der diese kleinen Formulare unterschreibt, die in jedem Fahrstuhl aufgehängt sind.«
    »Wie interessant.«
    »Sind Sie im Ruhestand?«
    »Ja. Ich habe vierundvierzig Jahre bei Blisscomb’s Cosmetics gearbeitet. Die ganze Zeit hatte ich denselben Schreibtisch. Als ich dort anfing, war er ganz neu. Als ich ging, nannten sie ihn Antik. Das war vor zehn Jahren.«
    »Und womit beschäftigen Sie sich?«, fragte ich, und mir ging auf, dass der höchste Preis, den ich für die Bücher zahlen konnte, Zeit und Konversation war.
    »Online-Poker.«
    »Wie bitte?«
    »Ich spiele online. Lee mochte es, wenn ich spielte. Er fuhr mich nach Atlantic City, und ich gewann am Pokertisch, bis der Tisch-Chef meinte, wir sollten besser verschwinden. Ich sehe alle Karten vor meinem geistigen Auge. Wenn eine Karte gespielt wird, verschwindet sie. So weiß ich, was meine Gegner haben können und was nicht. Ich habe gespielt, bis mir die Hände schmerzten. Lee liebte es, mit mir nach Atlantic City zu fahren. Er meinte immer, Spielen sei die größte Chance, die ein hart arbeitender Mensch jemals bekommen würde.«
    »Wann war das?«
    »Vor fünfundzwanzig Jahren. Ich war fast vierzig, als ich endlich Lee kennenlernte. Er nannte das immer unseren Feiertag.«
    Ah, Portwein, der wahre Zungenlöser.
    »Ähm …«, machte ich und zögerte.
    »Was denn, Mr. Thurman? Was wollten Sie wissen?«
    »Warum ist Bill fort?«
    »Ich war dumm«, antwortete sie. »Meine Familie war dagegen, und mein Exmann wollte es noch mal versuchen, jedenfalls sagte er das. Wenn ich so zurückblicke, glaube ich, meine Mutter hat ihn dazu angestiftet. Ich sagte zu Lee, es sei vorbei, und kurz nachdem er fort war, hat Julian mich wieder sitzenlassen.«
    Sie schob mir ihr leeres Glas hin, und ich tat ihr den Gefallen.
    Sie leerte das Glas und bedeutete mir, nachzuschenken.
    »Vielleicht sollten Sie es etwas langsamer angehen«, schlug

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