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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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ich vor.
    Sie sah mich an und lächelte.
    »Sie sind vielleicht nicht mit ihm blutsverwandt, aber Sie erinnern mich an ihn«, sagte sie. »Man könnte auf den Gedanken kommen, dass man Ihnen nicht trauen sollte, doch ich weiß es besser. Ich wusste es auch bei Lee besser, aber ich habe nicht auf meinen eigenen Instinkt gehört. Deswegen spiele ich noch heute Poker.«
    »Kann ich jetzt wohl die Bücher sehen, Miss Highgate?«
    »Ich denke schon. Werden Sie sofort gehen, wenn Sie sie gesehen haben?«
    »Ich glaube, in der Flasche sind noch ein paar Gläschen.«
    Sie lächelte mich freudig an und stand auf.
     
    Die Ethik der Psychoanalyse von Jacques Lacan, Die Abstammung des Menschen von Charles Darwin, Das Kapital , Macbeth , Hamlet und König Lear , Den Tod geben von Jacques Derrida, Der Begriff Angst von Søren Kierkegaard. All diese Bände steckten in einer alten Ledertasche mit zwei Griffen und einem Schultergurt.
    »Wenn ihm etwas besonders gefiel, machte er am Rand Notizen«, erklärte mir Corinthia. Sie hielt das Glas Port fest, das ich ihr eingeschenkt hatte.
    »Das ist wunderbar«, sagte ich. »Meine Schwester Katrina wird sich sehr freuen.«
    »Warum haben Sie sie nicht mitgebracht?«
    »Sie verlässt das Haus nicht oft.«
    »Ich verstehe«, sagte die alte Frau und nickte ihrer eigenen kahlen Zelle zu.
    »Und Sie sagten, Bill sei nach New Jersey gezogen, nachdem Sie sich getrennt hatten?«
    »Ja«, antwortete sie.
    »Wissen Sie noch wohin?«
    »Hoboken. Das war’s, Hoboken. Ich hatte mal eine Telefonnummer, aber die hab ich wie alles andere auch mit dem Bade ausgeschüttet.«
    Das Schloss an der Tür gab Kratzgeräusche von sich.
    Eine weiße Frau mittleren Alters, vielleicht fünfundvierzig, mit einer Papiertüte in der Hand, trat ein. Sie hatte eine frauliche Figur und ein hübsches Gesicht. Sie sah mich, erstarrte, so wie jemand erstarrt, der eine riesige Küchenschabe eine weiß getünchte Wand hinaufhuschen sieht.
    »Tante Corinthia«, sagte sie und sah mich an. »Ist alles in Ordnung?«
    »Komm herein, June«, erwiderte meine Gastgeberin. »Komm herein. Ich möchte dir Mr. … ähm, Mr. Thurman vorstellen.«
    Ich stand auf.
    June blieb stehen.
    Ich lächelte.
    Was immer sie auch für einen Gesichtsausdruck machte, er wirkte nicht einladend.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie.
    »Mr. Thurman, Schätzchen«, erklärte Corinthia. »Komm rein und mach die Tür zu.«
    Junes Haar war zu braun, und ihre Brüste standen ab wie die einer jungen Frau – die nahezu magische Technologie des Haarefärbens und moderner BHs. Ihre Reaktion auf mich hätte Panik oder Leidenschaft sein können.
    »Ich bin hier, um Ihrer Tante die Bücher meines Onkels abzukaufen«, sagte ich und bohrte ein Loch in die Wand aus Angst, die sich zwischen uns erhob.
    June war eine dieser New Yorkerinnen, die in einer Welt leben, die nur mit Menschen ihrer Wahl bevölkert ist. Ich war mir sicher, sie sprach nur selten mit Fremden, wenn überhaupt, und wunderte sich ebenso selten über all die braunen Hauttöne und merkwürdigen Akzente, die sie auf allen Straßen umgaben. Sie hatte ihre Verwandten, ihre Kirche, ihre Freunde und vielleicht einen Teilzeitjob – so wie jede andere weiße Christin im Herzen des mittleren Westens.
    »Junie«, wiederholte ihre Tante. »Komm rein und lerne Mr. Thurman kennen … und mach die Tür zu.«
    Eines der Nebenprodukte eines solchen Insellebens war irrationale Unterwürfigkeit. June wollte schreiend davonlaufen, stattdessen kam sie auf uns zu, ein Opferlamm, genau wie ihre Tante vor der Einflößung des süßen Weins.
    »Port?«, fragte ich.

26
    June und Corinthia hatten dasselbe Portwein-Gen: Eine halbe Stunde nach ihrem ersten Schrecken saß June auf einem dritten Klappstuhl am kahlen Tisch inmitten dieses schmucklosen Zimmers. Sie lachte und war frei.
    Ich weiß noch, wie ich dachte, dass diese beiden Frauen vor langer Zeit Angst vor mir gehabt hätten, weil ich (genauer gesagt, meine dunkle Hautfarbe) das angsteinflößende Andere gewesen wäre. Nun hatten sie den Eindruck, sie selbst seien die Anderen und ich irgendwie ein Abgesandter des dominanten Volkes. Sie sahen in meiner Freundlichkeit eher Höflichkeit als den Bückling, den die Farmer-Eltern meines Vaters noch gemacht und dazu gelächelt und unterwürfig geschwiegen hätten.
    Ich zahlte hundert Dollar für die Bücher und zweihundert für die alte hellbraune Ledertasche.
    June gab mir an der Tür einen Kuss auf die Wange.
    Er kam von Herzen

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