Bis dass der Tod uns scheidet
inneren Kreis wohnen, wo dich selbst die Tagesbesucher nicht sehen.«
»Aber ich geb ihnen nicht mein Geld«, murrte Seema.
»Die haben ihre eigenen Mittel«, erwiderte meine Klientin. »Wenn du deine kleine Tasche da festhalten willst, in Ordnung, aber es wird eh keiner versuchen, sie dir wegzunehmen.«
»Und Sie lassen mich einfach da?« Seema schien diese Frage an mich zu richten.
»Für den Augenblick schon, Schätzchen. Du brauchst einen Platz, wo du zu dir kommen kannst.«
»Ich dachte, Sie wollten, dass ich bei Ihnen bin.«
»Das habe ich nie gesagt. Ich sagte, ich hole dich bei Brody raus. Das heißt, an einen sicheren Ort, aber ich bin kein Zuhälter oder Ganove. Ich bin Privatdetektiv, steht ja auch auf der Karte.«
»Und was, wenn’s mir da nicht gefällt?«
Wir hielten vor dem verzierten Tor des Tempelgeländes. Chrystal saß neben mir, Seema hinten in der Mitte des Rücksitzes. Ich drehte mich um und sah ihr ins Gesicht.
»Wenn es dir nicht gefällt, dann kannst du einfach gehen oder mich anrufen, und entweder komme ich selber her oder ich schicke dir jemanden, dem ich vertraue.«
»Und womit soll ich anrufen? Haben die da überhaupt Telefon?«
Ich griff in William Williams’ Aktentasche und zog ein kleines schwarzes, in ein Stromkabel gewickeltes Handy heraus, eines der Wegwerfhandys, mit denen mich Bug versorgte. Ich gab es dem Mädchen.
»Hast du noch meine Karte?«, fragte ich.
Sie nickte.
»Hat Brody dir das blaue Auge verpasst?«
Wieder nickte sie.
»Lass dich von Chrystal hineinbegleiten, und gib dir drei Tage Zeit, bevor du dich weiter entscheidest.«
Das hatte Seema so nicht gewollt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber sie hatte keine Wahl.
»Na gut«, meinte sie.
Ich wartete im Wagen, während meine Klientin das Mädchen durch das Tor und den Garten hindurch in das große Kuppelgebäude begleitete. Ich saß eine Viertelstunde da und wunderte mich über die merkwürdige Verbindung zwischen mir und der Stahlkünstlerin.
Im Zug saßen Chrystal und ich nebeneinander und schwiegen die meiste Zeit. Ich nutzte die Gelegenheit, um über den Mord an meiner ursprünglichen Klientin nachzudenken, über Dimitri und Twill, über Gordo auf seinem Sterbebett. Ein klein wenig auch über William Williams.
Als wir eine Stunde unterwegs waren, rief ich Seema an.
»Hallo?«, sagte sie nach dem sechsten Klingeln.
»Seema.«
»Mr. Mack-Gill?«
»Wie geht es dir?«
»Ganz okay, schätz ich. Das Essen schmeckt komisch, aber die sind nett.«
»Fühlst du dich sicher?«
»Denke schon. Die haben mir dieses winzige Kabuff gegeben und mir gesagt, ich kann für die Miete arbeiten, wo ich will – Küche oder Wäscherei, egal.«
»Ich rufe dich Ende der Woche an, um zu hören, wie es dir geht.«
»Wenn ich sauber bin, kann ich dann zu Ihnen kommen?«
»Darum geht es nicht, Mädchen. Ich will dir nur helfen.«
»Okay. Aber Sie rufen an, richtig?«
»Ganz bestimmt.«
Chrystal ließ sich nicht anmerken, ob sie mitgehört hatte. Sie sah nur zum Fenster hinaus und blinzelte ab und zu wie ein Fotoapparat mit sehr langer Belichtungszeit.
40
Als wir in den Bahnhof von Newark kamen, drehte ich mich zu Chrystal um und betrachtete sie im Profil.
Der Zug fuhr bereits weiter, als sie fragte: »Was?«
»Du hast gesagt, Cyril und du hättet keine sonderlich starke erotische Beziehung zueinander.«
Mehr musste ich nicht sagen. Sie verstand die Anspielung.
»Ich kenne da einen Mann«, gestand sie. »Er heißt Lod, wohnt in Astoria. Wir … wir treffen uns manchmal.«
»Weiß Cyril von ihm?«
»Seinen Namen vielleicht nicht, aber er weiß es.«
»Was ist mit dem großen Kerl, ganz in Braun, der sich manchmal für Cyril ausgibt?«
»Er und ich? Wirklich nicht.«
»Wie heißt er?«
»Das ist Cyrils unehelicher Stiefbruder – Ira Lamont.«
Am Ende des Satzes stand ein Punkt. Ich brauchte noch weitere Informationen, doch der Ton ihrer Stimme bedeutete mir, langsamer vorzugehen. Das machte mir nichts aus. Ich war nur ein weiterer Lemming – ich stand brav Schlange.
»Tante Chrys!«, kreischte ein Kind, als wir zur Tür hereinkamen.
Dann bedrängten alle Kinder die Frau, für die sich ihre Mutter ausgegeben hatte. Sie umarmten und küssten sie, dann setzte sich die ganze Bande auf den Boden.
Der vierjährige Dorian ging nach einer Weile beiseite. Der kupferfarbene Junge nahm einen Stofftiger und unterhielt sich mit ihm.
»Dorian«, sagte Chrystal leichthin.
»Ja?«, fragte er in
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