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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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ihn unten im Tesla Building«, sagte ich und gab ihr einen Schlüsselbund zurück. »Sag ihnen, ich schicke jemanden, um ihn abzuholen. Und kannst du dafür sorgen, dass ich einen Telefonanschluss habe?«
    »Ja.«
    »Ach, noch was.«
    »Was denn?«
    »Schicke jemanden zu Mardi und bitte sie um das besondere schwarze Telefon. Sie sollen es in der Wohnung anschließen.«
    Sie nickte, sah mir aber nicht direkt in die Augen.
    Es gab nichts mehr zu sagen, also verließ ich die Wohnung, stieg die Treppe hinunter zum Haupteingang und ging hinaus – um endlich wieder Luft zu holen.

41
    Sohn – mein Vater nannte mich nur selten Sohn – , du darfst nicht vergessen, wenn es um Liebe geht, sind Männer weniger erfahren als Frauen – sehr viel weniger. Wenn sich eine Frau verliebt, weiß sie genau, wo sie ist. Verstand und Körper blühen auf. Verspürt eine Frau Liebe, dann ist das so, als ginge ihr der Verstand auf, so wie Marx, als er endlich das Kapital verstanden hatte. Wenn Männer sich verlieben, dann werden sie einfach dumm. Ein verliebter Mann ist jemand, der handelt, ohne die Geschichte auf seiner Seite zu wähnen. Er glaubt, dass heute anders ist als jeder andere Tag, und dass die Frau, die er betrachtet, anders, fundamental anders ist als alle anderen Frauen.
    Diese Ansprache fiel mir wieder ein , als ich auf dem Rücksitz eines Taxis saß, das ich vor Auras Haus angehalten hatte. Ich hatte in den vergangenen Tagen oft an Tolstoy gedacht. Er war ein umgekehrter Philosoph, ein Mann, der die Wahrheit schon recht früh im Leben erkannt hatte und dann den Rest seines Lebens damit verbracht hatte, sie hinter sich zu lassen. Ich verstand, mit ein wenig Groll, dass die Wahrheiten meines alten Herrn das Gegenteil ihrer selbst waren, und zwar in einem Maße, dass sie fast praktikabel wirkten.
    Eine Art kindliche Begeisterung befiel mich. Wieder hörte ich die Stimme meines Vaters und liebte ihn, wie ich ihn als Kind geliebt hatte. Das Gefühl war wie ein Parasit, der unter der Haut kriecht – bevor der Schrecken einsetzt …
    »Da wären wir«, verkündete der grauhaarige weiße Taxifahrer.
    Ich hatte die ganze Zeit über nichts von der Fahrt mitbekommen.
     
    Der hellhäutige Türsteher mit der schönen Stimme erkannte mich wieder. Er mochte mich keinen Deut mehr als beim letzten Mal, stellte sich mir aber nicht in den Weg.
    Ich nahm den ersten Fahrstuhl, passierte den türlosen Flur und betrat den zweiten Fahrstuhl. Der brachte mich hinauf zu der Vorortvilla aus New Jersey auf dem Dach des Gebäudes.
    Auf dieser offenen Fläche kam ich mir fast vor wie im Olymp.
    Phil, der weißeste Schwarze Amerikas, näherte sich mir über den Rasen. Ich wartete, bis er bei mir war, und fragte mich, wie es wohl war, an einem solchen Ort zu arbeiten.
    »Mr. McGill«, sagte er, als er vor mir stand.
    Es mochte eine Begrüßung sein, doch fehlte ihr die Ehrlichkeit. Seine Stimme und sein Blick sagten: Was wollen Sie hier?
    Er trug einen pfirsichfarbenen Anzug und ein süßes, leicht zitroniges Eau de Toilette.
    »Phil.«
    »Was wollen Sie?«
    »Etwas mehr Höflichkeit wäre schön.«
    Darauf hatte Phil nichts zu erwidern, also fuhr ich fort: »Ich möchte gern noch einmal mit Mr. Tyler sprechen. Dem richtigen Mr. Tyler. Nicht seinem Anwalt oder seinem unehelichen Bruder – mit ihm persönlich.«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Sie können nicht einfach hier hereinspazieren und Forderungen stellen, Mr. McGill. Sie vergessen Ihre gesellschaftliche Stellung.«
    Meine gesellschaftliche Stellung . Einen Augenblick lang war ich perplex. Das forderte mich heraus. Ich konnte mich nicht erinnern, wann mich das letzte Mal tatsächlich die Worte eines anderen überrascht hatten.
    Phil nahm wegen meines Schweigens wohl an, dass er die Oberhand gewonnen hatte. »Wenn ich also bitten darf …«, sagte er.
    »Wissen Sie was, Phil, Sie haben recht.«
    »Was?«
    »Nun«, fuhr ich fort, »vielleicht nicht recht, aber Sie drücken sich akkurat aus – was die Stellung betrifft, meine ich. Sie und ich leben an verschiedenen Orten. Sie hier oben auf dem Gipfel, blauer Himmel und Sonnenschein, ganz gleich zu welcher Tageszeit. Nie fällt ein Schatten auf Sie, und selbst an bedeckten Tagen sammelt sich das Licht in den Wolken über Ihnen.«
    Meine gewählte Ausdrucksweise ließ den gemischtrassigen Gehilfen verstummen.
    »Ich hingegen«, sagte ich, »ich komme von einem völlig anderen Ort. Ich lebe in einem Scheißhaus, aus dem die Gase aufsteigen und die Sonne

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