Bis die Daemmerung uns scheidet
»Ich habe ihn noch nie leiden können.«
Wassily – Claire hatte ihn noch nie zuvor gesehen, außer vielleicht von Weitem. Ein langhaariger Typ, der vom Gesicht her nur wenig älter aussah als Michael. Wenn man auf markante Gesichter und arrogantes Lächeln stand, konnte man ihn als gut aussehend bezeichnen. Er trug ein historisches Kostüm, was ihr ein wenig sonderbar vorkam; manche Vampire trugen so etwas, aber nicht viele. Meistens bemühten sie sich eher, angepasst zu sein anstatt aufzufallen. Wassily sah aus, als hätte er Dracula in einem dieser alten Schwarz-Weiß-Filme die Klamotten geklaut.
»Herzlich willkommen«, sagte Wassily und lächelte. Dabei zeigte er die Zähne. »Herzlich willkommen bei Unsterbliche Schlachten . Im gefährlichsten Sport der Welt kämpfen wir nicht nur bis zum Tod, sondern über den Tod hinaus. Sie werden diese Ausscheidungskämpfe mit ganz anderen Augen sehen – das verspreche ich Ihnen. Ah, wie ich sehe, ist unser Wettfenster geöffnet. Schauen Sie sich frühere Kämpfe an oder schließen Sie eine Wette für einen kommenden Kampf ab. Und denken Sie daran: Wir wissen, wer Sie sind.« Wieder blitzten Vampirzähne auf. Das war ziemlich geschmacklos.
»Was soll das denn?«, murmelte Michael und lachte beinahe. »Amelie wird ihn umbringen.«
Das Video verschwand und Claire blieben die beiden genannten Möglichkeiten. Es gab zwei Videos mit früheren Kämpfen und sie klickte auf das zweite.
Michael sog erschrocken die Luft ein, Eve ebenso.
Zwei halb nackte Typen prügelten sich in einem Drahtkäfig gegenseitig windelweich. Nichts, was man nicht auch im Bezahlfernsehen sehen konnte, außer dass die Haut des einen Typen viel zu bleich war und auch das Blut, das aus den Platzwunden rann, sah nicht normal aus. Es waren ein Mensch und ein Vampir, die gegeneinander kämpften.
Dann ging der Mensch zu Boden und wurde hinausgeschleppt. Claire wusste nicht, ob das alles nur Theater oder er tatsächlich k. o. geschlagen worden war. Ein anderer Kerl betrat den Käfig.
»Nein«, flüsterte sie. »Oh nein.«
Es war Shane. Er sah ängstlich, aber entschlossen aus, der Blick aus seinen dunklen Augen war auf den Vampir gerichtet, der ihm gegenüberstand. Der Vampir fauchte ihn an. Shane ging um ihn herum, suchte nach einer Lücke in seiner Deckung.
»Ist er wahnsinnig?«, platzte Michael heraus und sah blasser aus denn je. »Er ist nicht mal bewaffnet!«
Außerdem hatte er keine Blutergüsse, wie Claire feststellte. Also musste das Video vor dem heutigen Tag aufgenommen worden sein. Deshalb – und nur deshalb – konnte sie mit ansehen, wie Shane und der Vampir umeinander herumtänzelten, sich wanden, antäuschten … und angriffen. Der Vampir sah dank des vorherigen Kampfes bereits geschwächt aus. Shane hingegen wirkte unglaublich schnell und stark.
Trotzdem wurde er immer wieder niedergeschlagen. Claire ertappte sich dabei, wie sie jedes Mal zusammenzuckte, wenn die Faust des Vampirs zuschlug. Shane hielt sich am Leben, gerade so, und schlug dem Vampir mit einem unerwarteten Tritt einen Vampirzahn aus. Dafür wurde er so heftig in das Drahtgitter geschleudert, dass es ein Muster in seine Haut schnitt.
»Ich kann das nicht mit anschauen. Ich kann es einfach nicht«, sagte Eve und schlug die Hände vors Gesicht. »Er blutet!«
Claire dämmerte, dass der Kampf, der zuvor schon gefährlich gewesen war, jetzt unglaublich riskant geworden war – ein blutender Mensch war für einen Vampir wie eine Droge und der, gegen den Shane gerade kämpfte, schien gerade neuen Schwung zu bekommen und ging mit voller Kraft auf Shane los.
Der Vampir drückte Shane nach unten und Claire konnte einen Blick auf rote, glühende Augen und einen Vampirzahn erhaschen, der sich auf Shanes Kehle stürzte.
Shane schlug mit der Faust gegen den Kopf des Vampirs und stieß ihn dadurch zur Seite. Dann nutzte er den Schwung, um ihn von sich herunterzuwälzen. Als Shane oben war, bearbeitete er den Vampir immer weiter mit gnadenlosen Schlägen und Claire konnte den Abscheu, den Schmerz und den Zorn erkennen, die jetzt in ihm hochkochten und das Ruder übernahmen. Er kämpfte nicht nur zum Spaß und für Geld – er kämpfte für seine Mutter, seine Schwester, selbst für seinen Vater.
Er kämpfte gegen seine Albträume und seinen Hass auf Morganville.
Ein schwarz gekleideter Schiedsrichter schritt ein und beendete den Kampf. Als Zeichen des Sieges hob er Shanes schwitzenden Arm in die Höhe. Shane fiel auf die Knie
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