Bis ich bei dir bin
bewirkt ein Brennen in meiner Kehle. »Wie … wie hat er es dann geschafft?«
Sie reibt sich nachdenklich die Schläfe.
»Er wollte zuerst auch nicht mehr spielen«, beginnt sie langsam. »Nachdem er mit den Ärzten gesprochen hatte, gab er auf.«
Ich beuge mich gespannt vor. So weit kenne ich die Geschichte.
»Und was dann? Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht.« Sie zuckt die Achseln. »Er hat seine Meinung geändert.«
»Irgendwas muss bei ihm anders gewesen sein – vielleicht war er nicht so schwer verletzt?«
Sie schüttelt den Kopf, geht ein paar Schritte hin und her und lässt sich auf dem Drehstuhl nieder. Ihre Miene bleibt undurchdringlich, außer dass sie die Lippen schürzt, als würde sie abwägen, was sie sagen soll und was nicht.
»Nein, es war schlimm. Er lag mit Owen im selben Krankenhauszimmer, ich war dabei.« Sie sieht mir in die Augen. »Es war einfach … An einem Tag hatte er noch aufgegeben und am nächsten … Ich kam herein, um Owen zu besuchen, und ihr beiden – die beiden saßen zusammen im Bett und unterhielten sich angeregt über Football.«
»Owen war im Krankenhaus?«
»Er hat Diabetes«, murmelt Nina. »Er war sehr krank.«
Irgendetwas passt da immer noch nicht zusammen. Ich taxiere sie, suche nach einem Hinweis. Sie spielt mit ihrem Rocksaum, aber ihre Augen sind unverwandt auf mich gerichtet.
»Hm. Du bist also meine beste Freundin und hast keine Ahnung, wie es dazu kam, dass ich das Footballspielen wieder aufgenommen habe?«
»Nein. Ich habe dich damals noch nicht so gut gekannt.« Sie errötet wieder. »Aber ich weiß, dass du, wenn du dir etwas vorgenommen hast …« Sie hält kurz inne. »Das macht dir so schnell keiner nach.«
Ich blicke in meine offenen Handflächen. Mein Vater hat früher mal so etwas Ähnliches über mich gesagt. Aber dieser Kerl, dieses Ich, fährt immer noch mit seinem Dad an den See. Er ist Mannschaftskapitän. Ich versuche, mir den roten König in diesem Krankenhauszimmer vorzustellen, sehe aber nur mich selbst. Es gab dort ein leeres Bett hinter einem Vorhang … Mom hat ein paar Mal darin geschlafen, bevor sie wieder zur Arbeit ging. Dad hat verlegen darauf gesessen und mir Gummibärchen angeboten. Viv ist immer zu mir unter die Decke gekrochen. Niemand sonst hat das gemacht, schon gar nicht Ninas Bruder.
»Er ist wirklich wild auf Football, Owen, was?«
»Wenn er auf die Highschool kommt, will er genauso werden wie …« Sie unterbricht sich.
Wir sehen beide verlegen weg. Wenn ich eines sicher weiß, dann dass dieser Junge nicht so werden will wie ich.
Sie steht auf und geht wieder zum Fenster. »Ich muss zu ihm zurück. Mach’s gut, Cam.«
»Warte mal, brennst du nicht darauf, alles über dein anderes Ich zu erfahren?«
Sie dreht sich halb um. »Eigentlich nicht.«
Ich starre sie an und werde nach wie vor nicht aus ihr schlau. Sie muss schauspielern. Wer würde sich nicht für sein Parallelleben interessieren?
»Also, ich tippe mal darauf, dass du nicht in einem Diner jobbst, aber hier habe ich dich in einem gesehen. Du bist herumgeflitzt, hast Bestellungen aufgenommen, ganz der freundliche Service mit strahlendem Lächeln.«
Ich warte auf eine Reaktion, vielleicht sogar ein Lachen, weil ihr das so gar nicht ähnlich sieht, aber sie steht nur in der Eiseskälte am Fenster und regt sich nicht.
»Sie ist nicht ich.«
»Du gehst nicht auf meine Schule, falls du dich das gefragt hast.«
»Ich will es nicht wissen.«
»Bist du denn kein bisschen neugierig?«
Sobald die Frage heraus ist, merke ich, wie neugierig ich selbst bin. Warum ist die Nina, die vor mir steht, so düster, während das Mädchen im Diner ständig gelächelt hat und es allen recht machen wollte? Was ist bei ihr anders? Wenn Camden Pike in ihrer Welt alles hat, was man sich wünschen kann, sollte das nicht auch für sie gelten?
»Hör mal, ich muss gehen. Owen wartet auf mich«, sagt sie. »Du wirst auch wirklich nicht mehr durch das Licht kommen?«
Stumm schüttele ich den Kopf.
»Okay. Ich wollte nur … ich wollte mich nur verabschieden.«
Sie kommt auf mich zu, zögert, stellt dann einen Stiefel aufs Bett und klettert über mich hinweg, wobei ihre langen Haare meinen Hals streifen. Sie schwingt die Beine aus dem Fenster, und ich höre trockenes Laub knistern, als ihre Füße auf dem Boden auftreffen. Ich recke mich und will ihr noch etwas hinterherrufen, sie zum Beispiel fragen, wo ihre Eltern sind oder warum sie Poster von Horrorfilmen in
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