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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Oastler
nicht vorstellen, daß die amerikanischen Zöllner den ehemaligen Mr. Bangkok
einfach durchwinken würden.
    »Vielleicht Mrs. McQuat«, schlug Jack vor. Seine Mutter erstarrte,
als hätte man ihr ins Gesicht geschlagen.
    »In den Ferien sollte man Lehrer nicht behelligen«, sagte Mrs.
Oastler – eine Bemerkung, die Jack nicht verstand. Er spürte, daß seine Mutter
andere Gründe hatte, die Frau in Grau nicht in Betracht zu ziehen. Vielleicht
hatte Mrs. McQuat aus ihrer Mißbilligung von Alice’ Plan, Jack auf ein Internat
zu schicken, kein Hehl gemacht.
    Jack wußte, daß Miss Wurtz einen Teil der Sommerferien in Edmonton
verbrachte – die Vorstellung, von Miss Wurtz nach Redding begleitet zu werden,
war allerdings auch nicht sehr [342]  attraktiv. (Er hatte keinen Zweifel daran,
daß aus dieser ganzen Reise eine Bühnenbearbeitung werden würde.)
    »Und was ist mit Mrs. Machado?« fragte Alice. Nur Emma bemerkte, daß
Jack urplötzlich den Appetit verlor.
    »Ich bezweifle, daß sie fahren kann«, sagte Leslie Oastler
geringschätzig. »Die Frau ist so blöd, die kann ja nicht mal die Wäsche richtig
einräumen.«
    »Schmeckt dir die Pizza nicht, Süßer?« fragte Emma.
    »Trink deine Milch aus, Jack, auch wenn du satt bist. Du mußt ein
bißchen zulegen«, sagte Alice.
    »Wenn du nicht mehr kannst, nehme ich den Rest von deiner Pizza«,
sagte Emma.
    »Was ist mit dieser kleinen Schwuchtel, eurem Regisseur?« fragte Mrs.
Oastler Jack. »Wie heißt der noch mal?«
    »Mr. Ramsey«, sagte Emma. »Er ist nett, er ist ein netter Kerl. Nenn
ihn nicht ›Schwuchtel‹!«
    »Aber er ist eine Schwuchtel«, sagte Emmas Mutter. »Ich bin sicher,
daß Jack bei ihm gut aufgehoben wäre«, fuhr sie, zu Alice gewandt, fort. »Wenn
er in St. Hilda jemals einen Jungen auch nur angerührt hätte, wäre er
achtkantig rausgeflogen.«
    »Aber du hast doch gesagt, daß man Lehrer in den Ferien nicht
behelligen soll«, sagte Jack.
    »Mr. Ramsey würde das bestimmt nichts ausmachen«, sagte Mrs.
Oastler. »Offensichtlich vergöttert er dich, Jack.«
    »Tja, ich weiß nicht…«, sagte Alice.
    »Was weißt du nicht, Alice?« fragte Mrs. Oastler.
    »Es ist nur… er ist tatsächlich schwul«, antwortete Alice.
    »Es sind ja nicht die Männer, die Jack an
die Wäsche wollen«, sagte Emma.
    »Ich mag Mr. Ramsey. Ich würde gern mit ihm fahren«, sagte Jack.
    »Wenn er überhaupt über das Lenkrad
sehen kann, Zuckerbär.«
    [343]  »Ich könnte ihn ja mal fragen«, sagte Alice. »Vielleicht möchte
Mr. Ramsey eine Tätowierung.«
    »Er ist Lehrer, Alice – da verdient man so gut wie nichts«, sagte
Mrs. Oastler. »Mr. Ramsey braucht keine Gratistätowierung, sondern Geld.«
    »Tja…«, sagte Alice.
    Da Alice und Mrs. Oastler ins Kino gingen, blieb es Emma überlassen,
das Geschirr abzuräumen und Jack zu Bett zu bringen. Emma aß die Pizzareste auf
den anderen Tellern. Jack verstand, warum sie noch Hunger hatte: Sie hatte
ihren Salat nicht angerührt.
    »Leg doch mal was auf, Zuckerbär.«
    Emma sang gern beim Essen. Die besten Bob-Dylan-Imitationen gelangen
ihr mit vollem Mund. Jack legte einen der Konzertmitschnitte seiner Mutter auf
– laut, wie Emma es am liebsten hatte – und ging hinauf, um sich bettfertig zu
machen. Selbst als er sich im Badezimmer die Zähne putzte und dazu das Wasser
laufen ließ, konnte er hören, wie Emma »Motorpsycho Nightmare« mitsang.
Wahrscheinlich versetzte ihn der Song in eine gewisse Stimmung.
    Jack zog sich aus und betrachtete seinen Penis, der ein bißchen
gerötet und wund aussah. Er überlegte, ob er etwas Feuchtigkeitscreme auftragen
sollte, fürchtete aber, daß die Creme auf der Haut brennen könnte. Er zog einen
frischen »Sommerpyjama« – seine Boxershorts – an, legte sich ins Bett und
wartete darauf, daß Emma kam und ihm einen Gutenachtkuß gab.
    Ihm fehlten die Nachtgebete mit Lottie. Das einzige Gebet, das er
hin und wieder allein sprach, war jenes, das er früher mit seiner Mutter
gesprochen hatte.
    Sie betete inzwischen nicht mehr mit ihm – das war noch etwas, wofür
er offenbar zu alt war. Außerdem erschien ihm das vertraute schottische Gebet
angesichts seines neuen Lebens mit Mrs. Machado unangebracht. »Der Tag, den Du
gegeben, Herr, [344]  ist vorüber. Wir danken Dir dafür.« (An den meisten Abenden
hatte Jack nicht das Bedürfnis, irgend jemandem für den Tag zu danken.)
    Lottie hatte dem Jungen eine Postkarte von Prince Edward Island
geschickt. Wer die Kiefern,

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