Bis ich dich finde
die
Kellnerin. »Im Ernst – wenn Sie hier nicht mit jemandem verabredet sind, dann
sehen Sie lieber zu, daß Sie wenigstens mit jemandem weggehen.«
»Was ist denn nun mit der Tätowierung?« fragte er.
»Filmstars sollten sich nicht tätowieren lassen«, sagte sie zu ihm.
»Sie können dann keine Nacktszenen mehr spielen.«
»Dafür gibt es Schminke«, sagte Jack.
»Wahrscheinlich sollten Sie sich auch nicht allein tätowieren
lassen«, sagte die Kellnerin. »Sind Sie zu Dreharbeiten hier?«
»Eigentlich suche ich nach einem lesbischen Paar. Aber ich fange
erst mal mit der Frage an, wo man sich tätowieren lassen kann«, sagte er. Zum
erstenmal lächelte sie. Ihr fehlte ein Eckzahn, was vermutlich der Grund war,
warum sie nicht gern lächelte.
»Wenn Sie allein sind, gehe ich mit Ihnen
nach Hause«, sagte die Kellnerin. »Mit einem lesbischen Paar können Sie sowieso
nicht viel anfangen.« Es war Jack anzusehen, daß er darüber nachdachte: schon
wieder eine Gelegenheit für eine Nahaufnahme. Aber er war plötzlich müde und
wollte die Erinnerung an Ingrid Moe noch eine Weile festhalten. »Eigentlich bin
ich nicht alt genug, um Ihre Mutter zu sein«, fügte die Kellnerin hinzu. »Ich
sehe bloß so aus.«
»Das ist es nicht. Ich bin einfach nur zu müde«, sagte er zu ihr.
»Ich war viel unterwegs.«
[778] »Wenn Sie hier gelandet sind, waren Sie wirklich viel unterwegs«,
sagte sie.
»Ich nehme die Rotforelle«, sagte Jack.
»Was trinken Sie?«
»Ich trinke keinen Alkohol«, sagte er zu ihr.
»Ich bringe Ihnen ein Bier«, sagte die Kellnerin. »Sie können ja so
tun, als ob Sie es trinken.«
Das war klug von ihr, denn die Einheimischen prosteten ihm unentwegt
zu, während er aß. Die Trinksprüche waren irgendwie unheimlich, ja feindselig –
jedenfalls eher provokant als freundlich. Jack hob jedesmal sein Glas und tat
so, als nähme er einen Schluck. Sie schienen nicht zu bemerken, daß sein Glas
voll blieb, oder es war ihnen egal. Wenn es in Finnland Jack-Burns-Fans gab, so
verstanden sie es, ihre Zuneigung zu verbergen.
Jack ging nicht mit der Kellnerin nach Hause. Sie trug es mit
Fassung. Sie ließ ihn am Tisch warten, während sie ihm ein Taxi rief. Erst als
das Taxi draußen stand, ließ sie ihn gehen; sie begleitete ihn sogar bis zur
Tür und ließ erst dort seinen Arm los.
»Ich heiße Marianne. Es gibt viel kompliziertere Namen in Finnland«,
sagte sie.
»Das glaube ich gern, Marianne.«
Sie gab ihm eine Geschäftskarte in den Farben Schwarz und Weiß, die
ein bißchen unheimlich war. Das Studio hieß The Duck’s Tattoo. Auf der Karte
prangte eine täuschend echte Zeichnung von Donald Duck, der jedoch einen fetten
Joint rauchte. Seine Augen waren rotgeädert, und er sah völlig durchgeknallt
aus. Irgendwer hatte eine Schlange um den kiffenden Enterich drapiert,
allerdings weniger wie einen Schal, sondern eher wie eine Zwangsjacke.
Auf der Rückseite der Geschäftskarte stand eine Telefonnummer. »Das
ist meine Nummer«, sagte Marianne. »Ich habe ein paar
Tätowierungen, die ich Ihnen zeigen könnte, wenn Sie mal nicht zu müde sind.«
[779] »Danke, Marianne.«
»Der Tätowierer, zu dem Sie gehen müssen, heißt Diego.«
»Kein finnischer Name, vermute ich.«
»Diego ist Italiener, aber er ist in Finnland geboren«, sagte
Marianne. »Er ist hier seit fünfzehn Jahren im Geschäft.«
Das Duck’s Tattoo lag in der Kalevankatu, ungefähr zehn Minuten zu
Fuß vom Torni entfernt, wie ihm der Portier am nächsten Morgen sagte. Er
erkärte Jack außerdem den Weg zu einem Fitness-Studio in der Nähe des Hotels.
Es hieß Kuntokeskus Motivus. (»Nennen Sie’s einfach Motivus«, hatte der Portier
empfohlen.) Es war sauber, mit vielen freien Gewichten, aber Jack wurde von
einem Schwangerschafts-Aerobic-Kurs abgelenkt. Die hüpfenden Frauen machten
gefährlich wirkende Sachen.
Auf dem Weg zum Duck’s Tattoo kam Jack an einem Pornoladen vorbei.
Eine der Zeitschriften im Schaufenster kam aus Deutschland und hieß Schwangere Girls. Sämtliche darauf abgebildeten Frauen waren
schwanger; noch mehr hüpfende Frauen, die gefährlich wirkende Sachen machten.
Schwangerschaft schien sich zu Jacks ungewolltem Tagesthema entwickelt zu
haben.
Helsinki kam ihm vor wie ein Labyrinth von Baustellen. Er fand sich
in einem Stadtteil wieder, der hundert Jahre zuvor von den Russen erbaut worden
war. Das Duck’s Tattoo lag gegenüber dem früheren Russischen Lazarett.
Ursprünglich ein typisches
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