Bis ich dich finde
beruhigende Wirkung hatte. Genaugenommen
hatte sie zwei Medikamente – [1051] Zoloft und Seropram – ausprobiert. Beide hatten
ihre Vorteile, beide waren Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, wie man sie
üblicherweise zur Behandlung von Depressionen einsetzte.
Was die Nebenwirkungen anging, so hatte ihr Vater laut Heather die
Schwindelgefühle, den trockenen Mund, die Benommenheit und den Appetitverlust
verkraftet; letzterer war das hartnäckigste Problem. (Doch William war aus so
tiefer Überzeugung dünn, daß der Appetitverlust ihn wahrscheinlich
begeisterte.) Er hatte über gelegentlich schmerzhafte und länger anhaltende
Erektionen geklagt, und in seinen sexuellen Vorlieben und seiner Potenz waren
gewisse »Veränderungen« aufgetreten, über die sich Heather nicht genauer
geäußert hatte. Doch auch diese Nebenwirkungen hatte William Burns mit der Zeit
verkraftet oder zumindest hingenommen.
Williams Motorik wurde von den Medikamenten nicht beeinträchtigt.
Die Antidepressiva hatten keinerlei Auswirkungen auf seine Fähigkeiten als
Musiker. Die Stücke, die er auswendig konnte, beherrschte er nach wie vor, und
er spielte ebensogut vom Blatt wie eh und je.
Dr. Krauer-Poppe hatte sich Sorgen darüber gemacht, daß seine
Konzentrationsfähigkeit leiden könnte, und er räumte ein, daß er sich leichter
ablenken lasse; er brauchte länger, um sich neue Stücke einzuprägen, und klagte
gelegentlich über Erschöpfung, was ungewöhnlich für ihn war. Er sei es gewöhnt,
mehr Energie zu haben, sagte er, andererseits schlafe er auch besser.
Dr. Krauer-Poppe hatte außerdem sehr genau darauf geachtet, ob William
angesichts der längeren Anwendung der Medikamente Anzeichen von
Gleichgültigkeit oder eingeschränkter Emotionalität zeigte; man bezeichnete
dies gelegentlich als »Poop-out-Syndrom«, sagte Dr. Krauer-Poppe, aber William
hatte keine derartigen Anzeichen erkennen lassen. Laut Heather war ihr Vater
nichts und niemandem gegenüber gleichgültig und »leider« auch so emotional wie
eh und je.
[1052] Dr. Krauer-Poppe fand, daß die Antidepressiva in Williams Fall
erfolgreich gewesen seien. Sie stellte fest, daß die »Veränderungen« seiner
Sexualität keine Impotenz – eine weitere mögliche Nebenwirkung – beinhalteten.
Sie bezeichnete die Medikamente als »akzeptablen Kompromiß«. (Jack fiel niemand
ein, der Dr. Krauer-Poppe glich.)
Er konnte es gar nicht abwarten, diese Leute kennenzulernen, und war
erleichtert, daß er zuerst, das heißt, bevor er seinen Vater sah, mit ihnen
zusammentreffen würde.
William Burns war fünfundzwanzig gewesen, als er Jacks Mutter
kennengelernt hatte, und sechsundzwanzig bei Jacks Geburt. Wie lange wäre er,
Jack, in diesem Alter verheiratet geblieben? Und wenn er mit sechsundzwanzig,
als er und Emma in L.A. auf der Überholspur
gelebt hatten, Vater geworden wäre? Was für ein Vater wäre er wohl gewesen?
Jack wußte, wie Dr. Garcías Antwort, ihre aus weniger als einem Wort
bestehende Antwort, lauten würde: »Hmm.«
Jack meldete sich im Hotel zum Storchen am Weinplatz an. Sein
Zimmer ging auf die Limmat, wo er einem Ausflugsboot zusah, das am Hotelcafé
vorüberzog. Er wohnte in der Altstadt – Straßen mit Kopfsteinpflaster, viele
davon nur für Fußgänger. Die Kirchenglocken schienen jede Viertelstunde zu
schlagen, als wäre Zürich besessen vom Verstreichen der Zeit. Er rasierte sich
und zog sich zum Abendessen um, obwohl es erst früh am Nachmittag war.
Im Taxi – am Flughafen Kloten – hatte Jack überlegt, direkt zum
Sanatorium Kilchberg zu fahren, aber sein Termin mit Professor Ritter und den
anderen war erst am späten Nachmittag. Er wollte nicht riskieren, seinem Vater
über den Weg zu laufen, bevor er mit den Ärzten gesprochen hatte. Zwar rechnete
William nicht mit Jack, aber er hätte ihn bestimmt erkannt.
Jack hatte die Entscheidung der Klinik, seinem Vater seinen [1053] Besuch nicht anzukündigen, zunächst in Frage gestellt, aber sowohl Heather
als auch das Team von Psychiatern hatten es für das beste gehalten, William
nichts zu sagen, da er sonst zu angespannt wäre.
Ebenso hatte sich Dr. Krauer-Poppe dagegen ausgesprochen, Williams
Zoloft- oder Seropram-Dosis zu erhöhen, ob man ihm nun von Jack erzählte oder
nicht. Sogar Dr. von Rohr hatte von ihrem üblichen »Andererseits« abgesehen;
sie hatte vielmehr gesagt, eine Höherdosierung könnte dazu führen, daß William
beim ersten Besuch seines Sohnes nahezu katatonisch oder
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