Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Fahrer kam aus dem Nahen Osten, möglicherweise auch aus der
Türkei. (Er hatte mit deutlichem Mißfallen von »Europäern« gesprochen.) Sein
Englisch war viel besser als sein Deutsch, das er ebenso unbeholfen und
stockend sprach wie Jack. Als sie versucht hatten, sich auf deutsch zu
unterhalten, war der Fahrer schon nach kurzer Zeit zu Englisch übergegangen.
Jack fragte sich, warum man ihn für einen Patienten der Klinik gehalten hatte.
Vielleicht war der Taxifahrer kein großer Kinogänger.
    Anders die geradezu übernatürlich dünne Frau in Laufschuhen und
Jogginganzug, die Jack in dem Bereich empfing, den er für den Haupteingang des
Klinikflügels hielt. Es gab ein Wartezimmer und einen Empfang, wo die junge
Frau hin- und herging, [1056]  als Jack hereinkam. Eine Fitness-Trainerin, vermutete
er – vielleicht die Krankengymnastin, die für die physikalische Therapie
zuständig war, oder eine Art persönliche Trainerin für die Patienten. Sie sollte ein bißchen zunehmen, dachte Jack. Das mit dem sportlichen Aussehen kann man auch übertreiben.
    »Stopp!« sagte sie auf englisch und zeigte auf ihn. (Es war sonst
niemand im Eingangsbereich oder im Wartezimmer. Auch hinter dem Empfang war
niemand.) Jack blieb stehen.
    Aus einem Flur kam im Eilschritt eine Schwester. »Pamela, er ist
harmlos«, sagte die Schwester.
    »Natürlich ist er harmlos – er ist nicht echt«, sagte Pamela. »Die
Medikamente wirken. Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich weiß,
daß er harmlos ist – ich weiß, er ist nicht echt.«
    Sie hörte sich nach einer Amerikanerin an, doch die Schwester hatte
Deutsch mit ihr gesprochen, und sie hatte die Schwester verstanden. Vielleicht
war die dünne junge Frau schon lange Patientin der Klinik, lange genug
jedenfalls, um Deutsch gelernt zu haben, spekulierte Jack.
    »Es tut mir leid«, sagte die Schwester zu Jack, während sie die
junge Amerikanerin wegführte.
    »Sie sollten Englisch mit ihm reden«, sagte Pamela. »Wenn er echt
ist, spricht er Englisch, wie in seinen Filmen.«
    »Ich habe einen Termin bei Professor Ritter!« rief Jack der
Schwester nach.
    »Ich bin gleich wieder da!« rief die Schwester zurück.
    Sie waren den Flur entlang verschwunden, aber Jack konnte die zu
dünne Patientin noch immer hören: Sie hob die Stimme. Daß er sie fälschlich für
jemanden gehalten hatte, der hier arbeitete, erschien ihm fast wie ein Zeichen
geistiger Verwirrung.
    »Normalerweise sagen sie nichts«, sagte Pamela der Schwester.
»Normalerweise erscheinen sie bloß und reden kein Wort. Mein Gott, vielleicht
wirken die Medikamente ja doch nicht!«
    [1057]  »Das macht nichts«, sagte die Schwester sanft.
    Jack Burns war ein Filmstar in einer psychiatrischen Klinik: Kaum
verwunderlich, daß ihn die erste Patientin, die ihn sah, für eine sprechende
Halluzination hielt. (Keine schlechte Definition für einen Schauspieler, hätte
Dr. García womöglich gesagt.)
    Die Schwester kam kopfschüttelnd und fast unhörbar auf deutsch vor
sich hinmurmelnd zurück. Wäre ihre Tracht nicht gewesen und hätte er sie nicht
schon vorher gesehen, wäre er überzeugt gewesen, daß ihr selbstversunkenes
Gemurmel sie als Patientin auswies. Sie war eine kleine Frau Mitte Fünfzig,
stämmig und brüsk, mit grauen Locken – eine ehemalige Blondine, vermutete Jack.
    »Komisch, daß der erste Mensch, den ausgerechnet Sie hier treffen,
unsere einzige Amerikanerin ist«, sagte die Schwester. »Bleibel«, fügte sie
hinzu und schüttelte Jack kräftig die Hand.
    »Wie bitte?«
    »Waltraut Bleibel – so heiße ich.«
    »Ach so. Jack Burns.«
    »Ich weiß. Professor Ritter erwartet Sie. Wir haben Sie alle
erwartet, außer der armen Pamela.«
    Sie verließen das Gebäude und überquerten einen Innenhof mit einem
Skulpturengarten und einem flachen Teich mit Seerosenblättern. ( Nichts, worin jemand ertrinken kann, dachte Jack.) Die
meisten Gebäude hatten große Fenster, manche Scheiben zierten schwarze
Vogelsilhouetten. »Unsere Antivogel-Vögel«, sagte Schwester Waltraut mit
beiläufiger Geste. »Bestimmt gibt es die auch in Amerika.«
    »Ich bin wohl ins falsche Gebäude gegangen«, sagte Jack.
    »Eine Frauenstation wäre jedenfalls nicht meine erste Wahl für Sie«,
sagte Schwester Waltraut.
    Das Gelände war makellos gepflegt. Auf den Wegen gingen ein Dutzend
oder mehr Leute spazieren. Andere saßen auf [1058]  Bänken mit Blick auf den See.
(Kein Mensch machte einen geistesgestörten Eindruck.) Auf dem

Weitere Kostenlose Bücher