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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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dem anrüchigen Gewerbe verdiente,
das ihre Ehe zerstört hatte? Oder hatte sie etwas noch Gemeineres vor? Daß
Femke selbst es war, die in diesem Souterrainzimmer saß oder vor dem Eingang in
der Bergstraat stand, und daß unter ihren ersten Freiern einige
Geschäftspartner ihres Exmannes waren – darunter auch einige Herren, die zum
Bekanntenkreis des Ehepaars gehört hatten –, war sicher ein Schock. (Offenbar
nicht für Femke selbst – sie wußte sehr gut, daß die meisten Männer, wenn auch
nicht ihr Exmann, sie attraktiv fanden.)
    Was sie getan hatte, stieß bei ihren neuen Kolleginnen im
Korsjespoortsteeg und in der Bergstraat auf sehr gemischte Resonanz. Zwar
bewunderte man ihren öffentlich sichtbaren Triumph über ihren Mann, und man
wußte auch zu schätzen, daß Femke zu einer Verfechterin der Rechte von
Prostituierten geworden war – immerhin war sie eine Frau, deren so mutig
vertretene Überzeugungen man respektieren mußte –, doch fanden einige (unter
ihnen Els), sie sei keine echte Prostituierte.
    Auf das Geld war Femke gewiß nicht angewiesen. Sie konnte es sich
leisten, wählerisch zu sein, und sie war wählerisch. Sie lehnte viele Freier ab
– und das war ein Luxus, den sich weder die Frauen im Rotlichtviertel noch die
im Korsjespoortsteeg und in der Bergstraat leisten konnten. Außerdem fühlten
sich die Männer, die Femke nicht empfangen wollte, gedemütigt. Wer zum ersten
Mal zu einer Prostituierten gegangen und dabei an Femke geraten war, hätte
denken können, alle Prostituierten seien so. Ein paar von Femkes Kolleginnen in
der Bergstraat behaupteten, sie schade dem Geschäft noch viel direkter. Zum
einen [145]  war Femke nämlich die gefragteste Prostituierte der Straße, zum
anderen würde ein Freier, den sie vor den Augen ihrer Nachbarinnen verschmähte,
so beschämt sein, daß er lieber eine andere Straße aufsuchte. (Wer wollte schon
in Gesellschaft einer Frau sein, die gesehen hatte, wie man zurückgewiesen worden
war?)
    Doch Femke hatte auch ihre Verbündeten, insbesondere unter den
älteren Prostituierten. Und als sie entdeckte, daß sich die Musikliebhaberinnen
in den frühen Morgenstunden in der Oude Kerk einfanden, schloß sie einige enge
Freundschaften. (Hatte Jack unrecht, als er fand, es müsse sowohl Chormädchen
als auch Prostituierten leichtfallen, sich – als natürliche Folge ihrer Liebe
zu seiner Musik – in den Organisten zu verlieben?)
    Wenn man sah, wie Femke sich an ihrem Exmann gerächt hatte, hätte
man glauben können, daß sie in ihrer Beziehung zu William Burns
besitzergreifender sein würde, doch Femke genoß lediglich seine Musik und seine
Gesellschaft. Als sie sich von ihrem ehemaligen Mann befreite, hatte sie eine
andere Art von Liebe entdeckt: eine tiefe Seelenverwandschaft mit jenen Frauen,
die Sex entweder verkauften oder ihn hin und wieder an einen ausgewählten Mann
verschenkten. Wenn mehr als eine Musikliebhaberin in Williams Publikum in der
Oude Kerk ihn mit »nach Hause« genommen hatte, wie viele hatten ihm dann einen
Gratisrat gegeben?
    Viel später fragte sich Jack, ob diese Rotlichtfrauen vielleicht die
größte Eroberung seines Vaters gewesen waren. Oder war es so, daß Frauen, die
Männern gegen Geld Rat erteilten, bei den wenigen Männern, von denen sie kein
Geld nahmen, mit ihren Ratschlägen geizten?
    Für einen Vierjährigen war es eine sehr verwirrende Geschichte. Aber
vielleicht mußte man ein Vierjähriger sein, um sie zu glauben.
    [146]  Verwirrend oder nicht verwirrend – das jedenfalls war Femkes
Geschichte, mehr oder weniger so, wie Els sie erzählt hatte. Sie alterte (wie
alles andere) und veränderte sich dadurch, daß Alice sie Jack im Lauf der
nächsten Jahre immer wieder erzählte. Als der Junge und seine Mutter Femke in
ihrem Zimmer an der Bergstraat besuchten, war offensichtlich, daß sie bereits
erwartet wurden.
    Femke war nicht wie eine Prostituierte gekleidet. Ihr äußeres
Erscheinungsbild entsprach eher dem der Gastgeberin einer eleganten
Abendgesellschaft. Ihre Haut schimmerte so golden und makellos wie ihr Haar,
die Brüste wölbten sich dezent, und die Hüften waren ansprechend gerundet. Sie
war in jeder Hinsicht umwerfend, anders als alle Frauen, die Jack bisher in
einem Amsterdamer Fenster oder Eingang gesehen hatte. Sie verströmte eine
herablassende Unnahbarkeit, und es war leichter zu glauben, daß sie schon viele
Männer wieder weggeschickt hatte, als sich vorzustellen, daß sie jemals einen
Freier

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