Bis ich dich finde
Vielleicht sagte sie auch: » Er ist derjenige, der dich sehen
will, Jackie.«
Als Alice Tatoeërer-Pieter von Femkes Überlegung erzählte, versuchte
er, ihr auszureden, sich weiter damit zu beschäftigen. Pieter hatte Woody
Woodpecker auf seinem rechten Bizeps. Jack hatte den Eindruck, als wäre sogar
Woody dagegen, daß Alice im Fenster oder Hauseingang einer Prostituierten einen
Choral sang.
Jahre später fragte er seine Mutter, was eigentlich aus dem Foto
geworden sei, das sie von ihm und Pieters Woody Woodpecker gemacht habe.
»Vielleicht ist nichts daraus geworden«, war alles, was sie dazu sagte.
Nachdem Alice das Foto von Jack und Pieters Woodpecker gemacht
hatte, gingen die beiden zum Rode Draak. Robbie de Wit drehte ein paar Joints
für Alice, die sie in ihre Handtasche steckte. Möglicherweise machte Robbie ein
Foto von ihnen und Tatoeërer-Theo. (Jack dachte: Vielleicht
ist aus diesem Foto auch nichts geworden. )
Sie kauften ein Schinken-Käse-Croissant für Saskia, die aber mit
einem Freier beschäftigt war. Also aß Jack das Croissant, während sie zum
Stoofsteeg gingen, wo Jack das Gespräch seiner Mutter mit Els nur halb verfolgte.
»Ich rate eher ab«, sagte Els. »Aber du kannst natürlich mein Zimmer haben, und
ich werde mich um Jack kümmern.«
Vom Eingang zu Els’ Zimmer aus konnten Alice und Jack Saskias
Fenster an der Bloedstraat nicht sehen; wenn sie wissen [152] wollten, ob Saskia noch
beschäftigt war, mußten sie auf die andere Seite der Gracht gehen. Sie war noch
beschäftigt. Als sie wieder vor Els’ Tür standen, hatte diese gerade einen
Freier, und so gingen Alice und Jack zurück zur Bloedstraat und unterhielten
sich mit Janneke, Saskias Nachbarin.
»Was ist das eigentlich mit diesem Kirchenlied?« fragte Janneke.
»Oder ist es eine Art Gebet?« Alice schüttelte nur den Kopf. Die drei standen
auf der Straße und warteten darauf, daß Saskias Freier sich hinausschlich, was
er ein paar Minuten später auch tat. »Wenn er einen Schwanz hätte wie ein Hund,
würde er ihn einkneifen«, bemerkte Janneke.
»Wahrscheinlich«, sagte Alice.
Schließlich zog Saskia den Vorhang zurück und sah sie auf der Straße
stehen. Sie winkte und lächelte mit offenem Mund, was sie bei einem
potentiellen Freier niemals getan hätte. Saskia sagte, auch ihr Zimmer stehe
Alice zur Verfügung und sie und Els würden sich gut um Jack kümmern.
»Ich bin euch wirklich sehr dankbar«, sagte Alice zu der
verprügelten, verbrannten Frau. »Wenn du mal eine Tätowierung willst…« Sie
sprach den Satz nicht zu Ende. Saskia schlug die Augen nieder.
»Das ist nicht das Schlimmste«, sagte sie wie zu sich selbst. Alice
schüttelte wieder den Kopf. »Weißt du, was, Jack?« sagte Saskia – sie schien es
eilig zu haben, das Thema zu wechseln. »Du siehst aus wie ein Junge, der gerade
ein Schinken-Käse-Croissant gegessen hat, du Glückspilz.«
Alle Prostituierten in Amsterdam mußten sich bei der Polizei
registrieren lassen. Man fotografierte sie und legte über jede eine Akte an, in
der auch sehr persönliche Details standen. Einige davon waren vermutlich
irrelevant. Doch wenn die Frau einen Freund hatte, dann war das sehr wohl
relevant, denn wenn sie ermordet oder verprügelt wurde, dann war der Täter
gewöhnlich [153] nicht ein Freier, sondern der Freund. Damals gab es unter den
Prostituierten keine Minderjährigen, und die Polizei stand mit den Frauen im
Rotlichtviertel auf denkbar bestem Fuß und war über beinahe alles, was dort vor
sich ging, im Bilde.
An einem Morgen, der fast schon ein Frühlingsmorgen war, gingen
Alice und Jack mit Els und Saskia zur Polizeistation in der Warmoesstraat. Ein
netter Beamter namens Nico Oudejans sprach mit Alice. Saskia hatte um Nico
gebeten; als man sie mit Benzin übergossen hatte, war er als erster zur Stelle
gewesen, wie auch später, als sie verprügelt worden war. Nico trug Zivil, was
Jack vielleicht etwas enttäuschte, aber er war der beliebteste Polizist im
Rotlichtviertel – nicht bloß ein Streifenpolizist, den man eben kannte, sondern
der Beamte, dem die Prostituierten am meisten vertrauten. Er war Ende Zwanzig,
Anfang Dreißig.
Die Frage nach einem Freund verneinte Alice – sie habe keinen Freund
–, doch Nico fragte argwöhnisch nach: »Und wer ist dann der Kerl, für den Sie
singen wollen, Alice?«
»Er ist ein früherer Freund«, sagte Alice
und legte die Hand hinter Jacks Kopf. »Jacks Vater.«
»Dann wollen wir ihn als Ihren Freund
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