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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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betrachten«, erwiderte der
Polizist höflich.
    Vielleicht war es Els, die sagte: »Es ist ja nur für einen Nachmittag
und einen Teil des Abends, Nico.«
    »Ich werde keine Freier annehmen«, sagte Alice vielleicht zu dem
netten Polizisten. »Ich werde einfach im Fenster sitzen oder in der Tür stehen
und singen.«
    »Wenn Sie alle Männer ablehnen, werden einige von ihnen auf Sie
wütend sein, Alice«, sagte Nico.
    Es muß Saskia gewesen sein, die sagte: »Eine von uns wird immer in
der Nähe sein. Wenn sie mein Zimmer benützt, werde ich ein Auge auf sie haben,
und wenn sie bei Els ist, wird die aufpassen.«
    »Und wo wirst du sein, Jack?« fragte Nico.
    [154]  »Bei mir oder bei Els«, sagte Saskia.
    Nico Oudejans schüttelte den Kopf. »Mir gefällt das nicht, Alice.
Das ist nichts für Sie.«
    »Ich habe früher im Chor gesungen«, sagte Alice. »Ich kann singen.«
    »Aber das hier ist nicht der Ort, wo man Kirchenlieder singt oder
Gebete spricht«, sagte der Polizist.
    »Vielleicht könntest du hin und wieder mal vorbeischauen«, schlug
Saskia vor. »Für den Fall, daß es einen Auflauf gibt.«
    »Es wird einen Auflauf geben«, sagte Nico.
    »Na und?« sagte Els. »Eine Neue zieht
immer viele Männer an.«
    »Aber wenn eine Neue einen Freier mit hineinnimmt und die Vorhänge
zuzieht, gehen sie weiter«, sagte Nico.
    »Ich werde keinen mit hineinnehmen«, sagte Alice vielleicht.
    »Manchmal ist es leichter, als nein zu sagen«, gab Saskia zu
bedenken. »Jungfrauen zum Beispiel können sehr nett sein.«
    »Und schnell«, warf Els ein.
    »Nicht wenn Jack dabei ist.«
    »Nur bitte keine zu jungen Jungfrauen«, sagte Nico.
    »Vielen Dank«, sagte Alice. »Wenn Sie mal eine Tätowierung wollen –«
Sie hielt inne; vielleicht dachte sie, wenn sie dem Polizisten eine
Gratistätowierung anbot, würde der das als Bestechungsversuch betrachten. Nico
Oudejans war ein netter Mann. Seine Augen waren hellblau, und auf einem
Wangenknochen hatte er eine kleine Narbe in Form eines L.
    Draußen auf der Warmoesstraat dankte Alice Els und Saskia, daß sie
ihr geholfen hatten, eine polizeiliche Genehmigung für die Ausübung der
Prostitution für einen Nachmittag und Abend zu bekommen. »Ich dachte, es ist
einfacher, Nico zu über reden, als es dir aus zureden«, sagte Saskia.
    »Saskia geht immer den leichtesten Weg«, erklärte Els. Die drei
Frauen lachten. Sie gingen untergehakt nebeneinander, wie [155]  holländische
Frauen es manchmal tun. Alice war in der Mitte, Els hielt Jacks Hand.
    Die Warmoesstraat stellt eine der Begrenzungen des Rotlichtviertels
dar. Jack und Alice waren unterwegs zum Hotel Krasnapolsky. Els und Saskia
wollten ihr helfen, etwas Geeignetes zum Anziehen auszusuchen. Alice wollte
eigene Kleider tragen. Sie hatte keinen Rock, der so kurz war wie Saskias, wenn
sie vor dem Eingang ihres Zimmers an der Bloedstraat stand, und keine Bluse,
die so viel enthüllte wie die von Els, wenn sie am Stoofsteeg Ratschläge gab.
    Es muß etwa elf Uhr morgens gewesen sein, als sie an die Ecke der
Sint Annenstraat kamen. Nur eine einzige Prostituierte arbeitete, und zwar am
anderen Ende der Straße, doch sie erkannte sie selbst auf diese Entfernung und
winkte. Sie winkten zurück. Weil sie in die Sint Annenstraat sahen, in das
Rotlichtviertel, bemerkten sie Jacob Bril nicht, der sich ihnen auf der
Warmoesstraat näherte. Sie gingen immer noch zu viert nebeneinander, und Bril
konnte sich nicht einfach an ihnen vorbeidrücken. Er sagte etwas auf
holländisch – es klang kurz und scharf, wie ein Fluch oder eine Verwünschung.
Saskia erwiderte etwas im selben Ton. Obwohl Els und Saskia nicht ihre übliche
Arbeitskleidung trugen, erkannte er sie bestimmt. Immerhin hatte er ja die
Prostituierten des Viertels eingehend beäugt.
    Die drei Frauen mußten Platz machen, damit Bril weitergehen konnte.
Vielleicht war es das erste Mal, daß Bril im Rotlichtviertel stehenbleiben
mußte. Natürlich kannte er Alice – sie stand zwischen den beiden
Prostituierten. Was den Jungen betraf, so blickte Brill stets einfach durch ihn
hindurch. Es war, als würde er Jack nie wahrnehmen.
    »Vor den Augen des Herrn bist du wie die, mit denen du dich
umgibst«, sagte Bril zu Alice.
    »Mir gefallen die, mit denen ich mich umgebe, sehr gut«, antwortete
Alice.
    [156]  »Was weißt du schon von den Augen des Herrn?« fragte Els ihn.
    »Niemand weiß, was Gott sieht«, sagte Saskia.
    »Er sieht noch die kleinste Sünde!« rief Bril. »Er vergißt

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