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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nun war er erschöpft. Als
sie in Saskias Zimmer angekommen waren, zog sie die Vorhänge zu, damit Jack
schlafen konnte. Sie stand in der Tür und bewachte seinen Schlaf, während Els
alle fünfzehn, zwanzig Minuten hinüber zum Stoofsteeg ging, um nachzusehen, ob
Alice der Jungfrau noch immer Ratschläge gab.
    Es gelang Jack, die ersten beiden Male wach zu bleiben. »Ich denke,
Jungfrauen sind schnell«, bemerkte er.
    »Schlaf, Jack«, sagte Saskia. »Es dauert so lange, weil der junge [166]  Mann nicht gut Englisch kann. Deine Mutter muß wahrscheinlich ganz langsam
sprechen.«
    »Aha.«
    »Schlaf, Jack.«
    Viel später erwachte Jack von einem Geflüster. Die drei Frauen saßen
im Schein der Lampe mit dem roten Glasschirm auf der Kante von Saskias Bett;
für Jack, der nicht erkennen ließ, daß er wach war, blieb kaum noch Platz. Die
Perlenkette seiner Mutter war zerrissen, und Els und Saskia halfen ihr, sie
wieder aufzufädeln. »Dieser ungeschickte Kerl«, sagte Saskia. »Das ist immer
der Ärger mit den Jungfrauen.«
    »Es war keine Absicht – er hatte einfach noch nie eine Halskette
geöffnet«, flüsterte Alice. »Ich glaube, es sind Zuchtperlen. Ist das gut oder
schlecht?«
    »Du hättest die Halskette anbehalten sollen«, sagte Els.
    »Er war wirklich süß – er hatte noch nie irgendwas gemacht«,
flüsterte Alice.
    »Er muß eine Menge Geld gehabt haben, so lange, wie das gedauert
hat«, sagte Saskia.
    »Ach, ich hab ihm nichts berechnet – sonst wäre ich ja eine Prostituierte !« Die drei Frauen lachten. »Psst! Sonst
wecken wir noch Jack«, flüsterte Alice.
    »Ich bin wach«, sagte Jack. »Hast du ihm einen guten Rat gegeben?«
fragte er seine Mutter. Sie umarmte und küßte ihn, während die anderen beiden
fortfuhren, die Kette aufzufädeln.
    »Ja, es war ein ganz guter Rat«, antwortete Alice.
    »Der beste, den er je kriegen wird«, sagte Saskia.
    »Jedenfalls gratis «, fügte Els hinzu.
Wieder lachten die drei.
    »Du mußt mit dem verdammten Ding zu einem Juwelier gehen«, sagte
Saskia und drückte Alice die zerrissene Kette und einige lose Perlen in die
Hand. Alice legte alles in ihre Handtasche.
    Saskia und Els boten ihr an, sie zum Krasnapolsky zu begleiten, aber
Alice schlug einen kleinen Umweg vor. Sie wollte am [167]  Oudekerksplein
vorbeigehen, um den alten Frauen dort zu zeigen, daß sie es geschafft hatte.
»Es ist zu spät – die meisten arbeiten um diese Zeit nicht mehr«, sagte Els.
    »Ich finde, es lohnt sich«, sagte Saskia. »Wenn auch nur eine
einzige da ist, werden die anderen es erfahren.«
    Es war zwei oder drei Uhr morgens. Sie waren gerade aus dem
Oudekennissteeg getreten, als die Musik sie mit voller Wucht traf. Auf der
Brücke über die Gracht war sie noch lauter. Die Orgel der Oude Kerk war ein
heiliges Ungeheuer.
    Bach?« fragte Jack seine Mutter.
    »Allerdings«, sagte Alice, »aber es ist
nicht dein Vater.«
    »Woher weißt du das?« fragte Els. »Femke ist ein Miststück. Du
solltest lieber nachsehen.«
    »Es ist eine Phantasie in G-Dur«, sagte Alice. »Sehr beliebt bei
Hochzeiten.« Das waren offenbar keine Veranstaltungen nach Williams Geschmack,
doch Els und Saskia bestanden darauf, einen Blick auf den Organisten zu werfen.
    Alice wollte den ganzen Oudekerksplein umrunden, bevor sie die
Kirche betrat. Nur eine Prostituierte stand vor ihrer Tür und lauschte der
Musik. Es war Margriet, eine der jüngeren. »Du bist ja noch auf, Jack«, sagte
sie.
    »Wir sind alle noch auf«, sagte Els.
    Sie gingen in die Oude Kerk. Zwei ältere Prostituierte saßen in
einer Kirchenbank. Die Freche Frieda schien zu schlafen, und die andere, die
Mürrische Anouk, wollte Alice nicht ansehen.
    Nur Saskia, Els und Jack stiegen die schmale Treppe ganz hinten im
Kirchenschiff hinauf. Alice blieb am Fuß der Treppe stehen. »Er ist in
Australien oder unterwegs dorthin«, sagte sie trotzig. »Stellt euch vor, wie
viele Frauen er an Bord eines Kreuzfahrtschiffs kennenlernen wird.«
    Sie rochen den schwachen, unschuldigen Duft von Babypuder, noch
bevor sie Frans Donker, den Hilfsorganisten, sahen. Das unvermittelte
Erscheinen von Saskia und Els erschreckte das [168]  Wunderkind – Donker hörte auf
zu spielen. Dann sah er Jack zwischen den beiden Prostituierten stehen.
    »Du hast wahrscheinlich gedacht, es wäre dein Vater«, sagte Frans zu
Jack.
    »Eigentlich nicht«, sagte Saskia.
    »Sag nichts – spiel einfach weiter«, sagte Els. Noch bevor sie die
Treppe hinuntergestiegen waren,

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