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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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Chudolej blieben stehen. Auch derHerr blieb stehen. Tanja sah, dass er abrupt den angewinkelten rechten Arm hob. Seine Hand im schwarzen Handschuh war vor dem weißen Schnee gut zu erkennen. Sie vollführte eine seltsame, ruckartige Bewegung nach unten, als zerschneide sie mit abgespreiztem Daumen die Luft. Die Gesichter von Chudolej und Renata konnte Tanja nicht sehen, sie standen mit dem Rücken zu ihr. Das Gesicht des Herrn wurde von der Mütze und dem hohen Kragen seines Pelzmantels verdeckt.
    Renata schrie dumpf auf. Chudolej taumelte zur Seite, in eine Schneewehe, verlor das Gleichgewicht, wedelte hilflos mit den Armen und hielt sich an einer Grabeinfriedung fest, als hätte diese plötzliche Begegnung ihn getroffen wie ein Schuss, lautlos und tödlich.
    In Tanja flammte eine ungute, rachsüchtige Schadenfreude auf. Sie hatte von Anfang an den Verdacht gehabt, dass Chudolej indirekt etwas mit Wolodjas Tod zu tun hatte. Dieser liebenswürdige, gebildete Herr strahlte Grabeskälte aus. Doch selbst wenn man jegliche Mystik beiseiteließ, blieben die Tatsachen: In einer Schneesturmnacht Ende Dezember war Wolodja schwerkrank, mit hohem Fieber nach Hause gekommen. Tanja hatte ihn in Empfang genommen und ins Bett gebracht, ihm kalte Umschläge gemacht. Es ging ihm so schlecht, dass er, vielleicht zum ersten Mal im Leben, auf Tanjas Frage »Wo warst du?« schlicht und ehrlich antwortete: »Bei Chudolej.« Seitdem war er nicht mehr aus dem Bett aufgestanden. Und einen Monat später war er tot.
    Unsinn. Ich darf nicht nach Schuldigen suchen. Davon wird es nicht leichter. Aber ich möchte so gern jemanden verurteilen, anklagen, mich rächen, es ist so schwer, sich abzufinden, dachte Tanja, bemüht, nicht zu der Grube zu blicken, den Aufprall gefrorener Erde nicht zu hören, nicht das monotone Jammern der alten Kinderfrau und nicht das hysterische laute Schluchzen von Soja Wels.
    Indessen war auf der Allee nichts Schlimmes passiert.
    Renata hielt Chudolej fest, damit er nicht stürzte. Der Herr trat beiseite, ließ die beiden vorbei und eilte zu Wolodjas Grab. Er nahm die Mütze ab und warf eine Handvoll Erde hinein. Von weitem verbeugte er sich respektvoll vor Sweschnikow und Tanja, trat aber nicht zu ihnen und stellte sich nicht vor.
    Der Priester beendete das Ritual. Ljubow Sharskaja hielt mit ihrer dramatischen tiefen Stimme eine Rede. Andrej stand neben Tanja, das Gesicht gegen ihre Schulter gepresst. Auch er konnte nicht zusehen und nicht zuhören. Tanja umarmte ihn und spürte, wie er zitterte und schluchzte.
    Als das Grab zugeschaufelt war, stellte der Lakai des Herrn im Pelzmantel, der in der Nähe gewartet hatte, einen Korb mit frischen Narzissen auf den Hügel. Später fragte Tanja Wolodjas Studienfreund Potapow, wer der ältere Herr im Pelzmantel gewesen sei. Potapow zuckte nur die Achseln und sagte, er habe ihn noch nie gesehen.

Elftes Kapitel
    Eines sonnigen Vormittags Anfang September 2004 hielt vor dem bröckelnden Gebäudes des Instituts, in dem Professor Melnik arbeitete, ein so ungewöhnlicher Wagen, dass selbst der Pförtner zum ersten Mal seit Jahren aufwachte, aus seiner Bude kam und beinahe das Gleichgewicht verlor, als er sich über die Schranke beugte. Es war offenbar ein Mercedes, aber ein ganz besonderer – eiförmig, smaragdgrün, glatt und glänzend.
    Als der Mann, der aus dem Auto stieg, direkt auf den Institutseingang zuschritt, fragte der Pförtner ihn nicht einmal, wohin und zu wem er wollte, stand stramm, legte die Hand an die Mütze und erstarrte mit offenem Mund, ein Denkmal seiner selbst.
    Das ist phantastisch! Endlich! Ich wusste es, ich wusste es!, wiederholte Melnik im Stillen immer wieder, während der Besucher, der unbequem auf dem Fensterbrett in dem elenden Loch saß, das dem Professor als Büro diente, davon sprach, dass sich ein großer Konzern für Melniks Forschungen interessiere.
    »Wir haben uns nie mit Medizin oder Biologie befasst, aber vor kurzem bekamen wir ein Angebot für ein Jointventure. Ein deutsches Pharma-Unternehmen hat uns vorgeschlagen, in ein wissenschaftliches Forschungsprojekt zu investieren. Das Projekt ist vorerst streng geheim, wir können keinen Medienrummel gebrauchen.«
    Ausgerechnet gestern ist der letzte anständige Stuhl kaputtgegangen, dachte Melnik, soll ich ihm meinen Sessel anbieten? Es ist mir peinlich, dass er in diesem Anzug auf dem schmutzigen Fensterbrett sitzt.
    »In unserem Unternehmen gibt es keine Fachleute auf diesem Gebiet. Die

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