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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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das empfand er als besonders subtile Demütigung.
    Niemand auf der Welt interessierte sich für seine Gedanken und Gefühle. Die Liebe zu Tanja schnürte ihm die Luft ab. Er versuchte, sich anderen Mädchen zuzuwenden, doch das wurde ihm bald langweilig und zuwider. Es zog ihn zu Tanja. Er redete sich ein, das sei eine Krankheit, die irgendwann vergehen werde, tröstete sich mit dummen Phantasien – dass Tanja seine Frau sei – oder fiel in tiefe Schwermut.
    Belkin hörte ihm aufmerksam und teilnahmsvoll zu, gab ihm kluge Ratschläge, ermutigte ihn, machte ihm Hoffnung und verlangte keinerlei Gegenleistung. Seine Anteilnahme schien ganz aufrichtig und uneigennützig.
    Im August wurde Agapkin als Lehrling in die Loge aufgenommen. Er bekam einen Ordensnamen verliehen – Disciple, das hieß auf Französisch Anhänger. Das Ritual war fast identisch mit dem, das er bei Chudolej hatte durchlaufen müssen, aber diesmal fühlte er sich nicht mehr hilflos ausgeliefert. Er wusste genau, was er tat und warum.
    Er konnte nicht länger einsam bleiben, er wollte in der nahenden Katastrophe überleben. Die Loge war für ihn eine Art Arche Noah. Alles ringsum brach zusammen, bald würde die große Sintflut kommen, aber nicht mit Strömen von Wasser, sondern mit Strömen von Blut. So sprach der Meister, und Agapkin glaubte ihm unbesehen.
    Doch vorerst, allen Prophezeiungen zum Trotz, trotz Chaos und Durcheinander, begann im September wie gewohnt das neue Schuljahr. Andrej ging ins Gymnasium, Tanja besuchte die Höheren Kurse, die per Verordnung zur Frauenuniversität geworden waren.
    Gleich zu Beginn des Studiums musste Tanja Stunden im anatomischen Theater besuchen, aber das machte ihr wenig aus. Sie hatte fast ein Jahr im Lazarett gearbeitet und dort den Tod schon gesehen, war mehrfach auch in der Totenkammer gewesen. Doch eines Tages kam sie ganz blass und mit erschrockenem Blick von den Anatomiestunden nach Hause. Als sie beim Tee saßen, bemerkte ihr Vater plötzlich, dass ihre Hand zitterte und ihre Zähne klappernd gegen die Tasse schlugen.
    »Papa, hast du vielleicht noch die Telefonnummer von Chudolej?«
    »Irgendwo hatte ich sie. Ich müsste suchen.«
    »Nein, nein. Nicht nötig.«
    »Was ist passiert? Nun erzähl schon.«
    »Ach, nichts, Unsinn. Wahrscheinlich nur ein Irrtum.«
    »Ich habe seine Nummer«, mischte sich Agapkin ein, »möchten Sie ihn anrufen?«
    »Ich habe nein gesagt. Jedenfalls hätte das keinen Sinn.«
    »Vielleicht solltest du etwas Baldrian nehmen?«, fragte Sweschnikow vorsichtig.
    »Warum?«
    »Weil du am ganzen Leib zitterst und sehr blass bist, sogar deine Fingernägel sind blau.«
    »Ach ja?« Tanja stellte ihre Tasse ab und betrachtete ihre Fingernägel. »Sie sind völlig normal.«
    »Schluss jetzt.« Der Professor runzelte die Stirn. »Nun erzähl schon, was ist passiert?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich habe mich schrecklich verhalten. Wenn er es war. Und jetzt bin ich sicher, dass er es war. Also habe ich den Untersuchungsführer angelogen.« Tanja griff nach der silbernen Zuckerzange und klappte sie auf, als wollte sie sie geradebiegen.
    »Wer – er? Drück dich bitte klar aus und lass die Zuckerzange in Ruhe.«
    »Der Leichnam. Ich ging den Flur entlang, da standen zwei Sanitäter neben einer Trage und rauchten. Der Körper war nicht zugedeckt. Eine grässliche Wunde, so etwas habe ich noch nie gesehen. Ein vertikaler Schnitt von der Kehle bis zum Bauch, als wäre er so aufgeschnitten worden.« Tanja hob die Hand und wiederholte die schreckliche rituelle Geste.
    »Und Sie glauben, das war Chudolej?«, fragte Agapkin mit etwas heiserer, aber ruhiger Stimme.
    »Er hatte dunkles Haar und einen Spitzbart, ebenfalls dunkel. Außerdem war sein Gesicht stark verändert, wie oft nach dem Tod. Die Zähne gebleckt, die Nase ganz spitz.«
    »Chudolej ist hellblond und trägt keinen Bart«, bemerkte der Professor, »an seine Nase erinnere ich mich nicht genau, aber ich glaube, es war eine Knollennase.«
    »Das Muttermal auf der Wange, und die Augen. Sie waren offen. Sie schienen mich anzusehen, als wollten sie mich hypnotisieren. Ich konnte mich nicht rühren. Dann kam ein Herr in einer grauen Jacke und fragte, warum ich den Körper so eingehend betrachtete. Ob ich den Mann vielleicht kenne. Ich habe gesagt, ich sähe ihn zum ersten Mal. Er fragte noch ein paarmal, ob ich sicher sei, dass ich ihn noch nie gesehen hätte. Das sei sehr wichtig. Er sei brutal getötet worden, habe keine

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