Bis in alle Ewigkeit
die Preise stiegen täglich. Neue Stiefeletten, Hosen, ein warmer Mantel, anständige Hemden, Unterwäsche, eine goldene Armbanduhr für Tanja, die ja auch Namenstag hatte – Agapkin stellte sich lebhaft vor, wie er das alles gleich heute kaufen würde, ganz in der Nähe, auf dem Arbat. Doch plötzlich sagte er zu seiner eigenen Überraschung: »Ich danke Ihnen, Matwej Leonidowitsch. Sie sind mir nichts schuldig.«
Belkins Brauen zuckten leicht.
»Brauchen Sie etwa kein Geld? Genieren Sie sich nicht, Sie haben sich Ihr Honorar redlich verdient.«
»Es stimmt«, sagte Agapkin, »ich bin nicht reich. Aber Ärzte sind abergläubisch. Geld für eine Entbindung zu nehmen ist ein schlechtes Omen.«
Belkin musterte ihn einige Sekunden schweigend und lächelteschließlich, nun ganz anders, ohne die geringste Herablassung, wie von gleich zu gleich, selbst seine Haltung wirkte nun ungezwungener, entspannter.
»Eine ehrenhafte Antwort. Äußerst ehrenhaft. Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Wie kommen Michail Wladimirowitschs Versuche voran?«
»Sehr langsam.«
»Sind Sie daran beteiligt?«
»Ja. Aber ich bin nur sein Assistent. Ich weiß längst nicht alles, vieles davon verstehe ich nicht.«
»Das ist auch nicht nötig.« Belkin lächelte milde. »Ihre Mission ist eine andere: Sie sollen stets an seiner Seite sein, ihn so gut wie möglich gegen die Unbill des Lebens und gegen die aufdringliche Neugier Uneingeweihter abschirmen. Es kommen schwere Zeiten, und Menschen wie Professor Sweschnikow sind für uns von unschätzbarem Wert.«
Wen er mit »uns« meinte, erläuterte Belkin nicht. Aber Agapkin begriff es auch so.
Seitdem trafen sie sich häufig. Agapkin erfuhr, dass Wolodja seit seinem achtzehnten Lebensjahr auf die Aufnahme in die Loge »Narzisse« vorbereitet worden war. Doch er hätte noch mindestens drei Jahre warten müssen, um wenigstens Lehrling zu werden. Aber er habe mehr gewollt, sofort. Ungeduld und krankhafter Ehrgeiz hätten ihn in die Arme des abtrünnigen Chudolej getrieben.
»Meine Aufnahme ist also ungültig?«, fragte Agapkin.
»Ja. Sie müssen noch einmal ganz von vorn anfangen, natürlich nur, wenn Sie wollen.«
Agapkin wusste nicht, ob er das demütigende Ritual noch einmal durchlaufen, noch einmal den schrecklichen Schwur sprechen wollte. Belkin drängte ihn nicht, gab ihm aber zu verstehen, dass eine Ablehnung ein unverzeihlicher Fehler wäre.
Agapkin spürte, dass er bereits zu weit vorgedrungen, dass er in Geheimnisse eingeweiht war, die ein Außenstehender nicht kennen durfte. Außerdem drängte es ihn, ein Auserwählter zu werden, in einen Kreis starker, einflussreicher Leute aufgenommen und von ihnen gefördert zu werden. Zu ihnen zu gehören war vernünftiger, als in der Schwebe zu verharren, in der zweideutigen Rolle eines Einzelgängers, besonders jetzt, da alles ringsum zusammenbrach und sich niemand für ein gesichertes Morgen verbürgen konnte.
Nach einigen Monaten konnte er sich sein Leben ohne die regelmäßigen Gespräche mit Belkin nicht mehr vorstellen.
Agapkin war nie besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden. Seine Mutter war Wäscherin gewesen, die Arbeit hatte sie bis aufs Letzte ausgepresst, und sie hatte sich mit Wodka betäubt. Die Mitschüler im Gymnasium hatten ihn von oben herab behandelt, alle wussten, dass er nur dank der Unterstützung durch einen Wohltätigkeitsfonds aufgenommen worden war. Seine Mutter und er hatten in einem ärmlichen Kellerraum ohne Strom gewohnt, der im Winter bitterkalt war, die Toilette war eine stinkende Grube auf dem Hof. Seine Hausaufgaben hatte er im Schein eines Talglichts machen müssen, unter dem betrunkenen Geschrei seiner Mutter hinter dem Kattunvorhang. Trotzdem hatte er das Gymnasium mit einer Goldmedaille abgeschlossen und sich damit das Recht auf ein kostenloses Universitätsstudium erworben. Er hatte sich Geld mit Privatstunden verdient, wenig geschlafen, gehungert und gefroren und war in Lumpen herumgelaufen.
Professor Sweschnikow, der an der Universität Militärchirurgie unterrichtete, war der Erste gewesen, der Agapkin bemerkte und seine professionellen Fähigkeiten zu schätzen wusste. Agapkin war ihm dankbar und hing sehr an ihm, spürte aber voller Pein ständig die Distanz zwischen ihm und sich. Sie alle – derProfessor, Wolodja, Tanja und Andrej waren aus ganz anderem Holz als er. Sie bewegten sich anders, sprachen und lachten anders. Sie gaben ihm nie zu verstehen, dass er ein Fremder war, aber
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