Bis in alle Ewigkeit
zurück und fragte: »Sie waren beim KGB?«
»Ja. Aber ich bin vor zehn Jahren in den Ruhestand gegangen.«
»Interessant. Und was haben Sie für einen Dienstgrad?«
»Oberst.«
»Sie wollten nicht General werden?«
»Doch. Aber ich musste gehen. Ich musste eine Familie ernähren.«
»Haben Sie eine große Familie?«
»Meine Frau, zwei Kinder, jetzt auch noch eine Enkelin, plus die Eltern, meine und die meiner Frau.«
»Und Sie allein ernähren sie alle?«
»Jetzt nicht mehr allein. Mein ältester Sohn verdient inzwischen recht gut, und das Gehalt meiner Frau wurde erhöht. Sie unterrichtet am Pädagogischen Institut. Aber Anfang der Neunziger war es sehr schwierig. Und da bekam ich ein gutes Angebot.«
»Und Sie bereuen es nicht?«
»Nein.«
Sie schwieg eine Weile.
»Sie und Fjodor Agapkin sind also Kollegen?«
Der Zug hielt. Subow nahm Sofjas Koffer und sagte: »Agapkin? Ist das nicht der uralte Mann, von dem Boris Iwanowitsch Melnik erzählt hat?«
»Genau der.« Sofja nickte und stellte keine Fragen mehr.
Als sie auf dem Bahnsteig standen, fröstelte sie.
»Ja, hier ist es wirklich kälter als in Hamburg.«
»Ich habe Sie gewarnt. Setzen Sie Ihre Kapuze auf. Also, gleich ins Laboratorium oder doch erst ins Hotel?«
»Können wir erst ins Laboratorium?«
»Sind Sie so ungeduldig?«
»Hmhm.«
»Gut. Wir bringen nur rasch Ihren Koffer und meine Tasche ins Hotel. Es ist ganz in der Nähe. Die Insel ist klein.«
»Ja, ich weiß.«
Sie fuhren zehn Minuten mit dem Taxi. Subow saß auf dem Rücksitz neben ihr und spürte ihre Anspannung.
»Sofja Dmitrijewna, möchten Sie sich nicht erst ein wenig ausruhen?«
»Ich bin überhaupt nicht müde.«
Ihr Anblick tat ihm weh. Sie betraten die behagliche Hotelhalle. Sofja erstarrte und sah sich erschrocken um. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten. Subow dirigierte sie in einen Sessel und füllte an der Rezeption rasch die Anmeldungen aus. Als er zurückkam, befürchtete er, sie werde gleich in Ohnmacht fallen.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Ja.«
»Gut. Dann bringen wir die Sachen hoch und kommen gleich wieder runter.«
Sie nickte und folgte dem Hoteldiener, der ihren Koffer trug.
Ich muss ihr alles erzählen, dachte Subow, heute, jetzt gleich. Ich kann es nicht mehr aufschieben. Aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
Moskau 1917
Agapkin kam zu sich, als ihm jemand sanft und behutsam auf die Wangen schlug.
»Na, na, Disciple«, sagte der Chauffeur, »machen Sie die Augen auf, ich weiß doch, dass Sie mich hören.«
»Ja«, hauchte Agapkin.
»Sie haben Fieber. Ich bringe Sie hoch, dann legen Sie sich ins Bett.«
»Das geht nicht. Vielleicht habe ich ja Typhus? Dort ist ein Säugling. Das geht nicht.«
»Da haben Sie wohl recht. Aber was soll ich nun mit Ihnen machen?«
»Bringen Sie mich in die Pretschistenka, ins Lazarett. Zu Doktor Potapenko oder Maslow oder irgendwem …«
Das Sprechen fiel Agapkin schwer, ihm klapperten die Zähne, seine Muskeln waren noch immer stark verkrampft. Aber sein Kopf war nun trotz der schrecklichen Schmerzen klar.
Ich lebe. Warum? Was hat mich abgehalten? Angst? Der Selbsterhaltungstrieb? Aber immer wieder erschießen sich Menschen, und jeder hat im letzten Augenblick Angst. Trotzdem schießen sie sich tot, wenn sie sich einmal dazu entschlossen haben. Warum habe ich das nicht geschafft?
Wegen der Barrikaden konnten sie nicht direkt bis zum Lazarett fahren. Der Chauffeur bremste und fragte: »Schaffen Sie es selbst zu Fuß?«
»Eher nicht.«
»Ich kann Sie nicht begleiten. Ich darf es nicht riskieren, den Wagen ohne Aufsicht stehenzulassen, zumal mit den Lebensmittelpaketen. Eine Umfahrung gibt es nicht. Durch die Höfe ist es nicht weit. Versuchen Sie, auf die Beine zu kommen.«
Das ist noch eine Chance, dachte Agapkin gelassen, ichwerde es natürlich nicht schaffen. Ausgezeichnet. Ich werde irgendwo auf dem Weg zusammenbrechen, das Bewusstsein verlieren und nicht mehr zu mir kommen. Oder eine rote Patrouille wird mich ausziehen und erschießen. Noch besser.
»Nein, warten Sie, bleiben Sie sitzen. Ich habe eine Idee«, sagte der Chauffeur. »Ich bin Ihretwegen schon ganz durcheinander, Disciple. Das hätte mir gleich einfallen können.«
Er setzte ein Stück zurück und wendete. Durch Seitenstraßen fuhr er zur Bolschaja Nikitskaja, hielt vor dem Haus des Meisters und hupte dreimal. Kurz darauf kam der junge Mann in der Soldatenbluse heraus. Eine neue Schmerzattacke durchfuhr
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