Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
Vom Netzwerk:
Angehörige ausfindig, ihre Mutter und ihren Sohn.
    In den schwersten Augenblicken seines Lebens hatte Sofjas Vater immer den Brief hervorgeholt und gelesen. Nein, nicht gelesen, er hatte ihn in der Hand gehalten und den Text vor sich hin gesprochen. Sofja erinnerte sich plötzlich, dass sie ihn am Tagnach seiner Rückkehr aus Deutschland wieder mit dem Brief in der Hand gesehen hatte.
    »Sofie, wir müssen in zwanzig Minuten los. Ich dachte, du wärst eingeschlafen.« Nolik trat von hinten zu ihr und betrachtete über ihre Schulter hinweg die Fotos. »Sag mal, der hier, ist das dein Großvater? Lukjanow? Was war er übrigens?«
    »Ich weiß nicht. Irgendein Pilot. Sie haben nicht einmal mehr heiraten können, er ist noch vor dem Krieg in einem Flugzeug verbrannt. Lukjanow ist der Familienname meiner Großmutter, nicht seiner.«
    »Also ist er es nun oder nicht?«
    Sofja schüttelte den Kopf, blätterte in dem Fotoalbum und zeigte auf das Foto eines etwa zwanzigjährigen jungen Mannes mit rundem Gesicht und Stupsnase.
    »Das ist er. Sie wohnten in einer Gemeinschaftswohnung in der Sretenka. Er ist umgekommen, als sie schwanger war, er hat nicht einmal mehr erfahren, dass er einen Sohn hat.«
    »Moment mal.« Nolik zwinkerte heftig. »Wer ist dann der mit den Segelohren und dem Kind auf dem Arm?«
    »Keine Ahnung.«
    Nolik entdeckte in einem Bleistiftbehälter auf dem Tisch eine kleine Lupe, nahm Sofja das Foto aus der Hand und murmelte: »Eine merkwürdige Uniform hat er an.«
    Nolik interessierte sich seit seiner Kindheit für Militärgeschichte, sammelte Spielzeugsoldaten, hatte eine Unmenge Memoiren und wissenschaftliche Forschungen gelesen und wusste alles über Waffen, Banner, Orden und Rangabzeichen.
    Er betrachtete das Foto eine Weile und flüsterte plötzlich: »Er trägt eine deutsche Uniform. Sofie, der Kerl ist Leutnant der SS.«
Moskau 1916
    »Was fehlt diesem Kind?«, fragte die Zarin.
    Sie hatte sich an Professor Sweschnikow gewandt, doch der kam gar nicht zum Antworten. Ossja war schneller als er.
    »Das Kind ist vor Schreck gealtert, auf einer Ballonfahrt über den Atlantik. Die Trinkwasservorräte gingen zur Neige. Fette Möwen umkreisten mich, stahlen meinen Zwieback und mein Dörrfleisch. Nachdem sie sich an meinem Proviant gütlich getan hatten, wollten sie mich zum Dessert verspeisen. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass ich dürr sei und nicht schmecke, aber das half nichts. Ich musste meinen Revolver gegen sie entleeren, obwohl ich gegen das Töten bin. Der Wind wehte vom Meer her so heftig, dass mein Ballon immer höher stieg, am Tag verbrannte die Sonne meine Haut, und sie wurde ganz faltig. Nachts färbte das Mondlicht mein Haar silbern, und es wurde grau. Meine Zähne schliffen sich ab, als ich meine Lederschuhe essen musste, um nicht hungers zu sterben. Dann wurde mein Herz krank. Es sprang mir in die Kehle, und ich hätte es beinahe ausgespuckt wie einen Kirschkern, besann mich aber rechtzeitig und schluckte es wieder herunter. Das geschah, als direkt vor mir ein österreichisches Aufklärungsflugzeug auftauchte. Es kam zum Kampf. Ich schleuderte Sandsäcke, der Pilot beschoss mich mit einem Maschinengewehr.«
    »Er hat das Steuer losgelassen?«, fragte Prinzessin Olga.
    »Eine gute Frage.« Ossja nickte beifällig. »Sie waren zu zweit in der Kabine, ein Pilot und ein Schütze. Wer weiß, wie der ungleiche Kampf ausgegangen wäre, wären meine Säcke nicht in der Luft geplatzt. Der Sand flog den Österreichern in die Augen, der Aeroplan geriet außer Kontrolle und stürzte ab. Aber mein Ballon war an mehreren Stellen durchlöchert. Unter mir lag die endlose glatte Fläche des Meeres, und sie kam rasch näher.Durch das Wasser hindurch sah ich Quallen, Fische, riesige Walfische und hübsche kleine Seepferdchen. Die Welt war wunderschön, und traurig nahm ich von ihr Abschied. Als der Boden meiner Gondel das Wasser berührte, verlor ich das Bewusstsein.«
    »Ein lieber Junge«, sagte die Zarin.
    Ossjas Geschwätz langweilte sie sichtlich. Aber die Prinzessinnen wollten noch nicht gehen.
    »Und wieso sind Sie nicht ertrunken?«, fragte Prinzessin Tatjana.
    »Ein Delphin nahm mich auf den Rücken und brachte mich ans Ufer. Aber es war eine unbewohnte Insel. Das heißt, dort lebten Menschen, aber es waren Nachkommen der alten Azteken, und sie praktizierten Menschenopfer.«
    »Davon erzählst du uns später, mein Kind, jetzt müssen wir gehen«, sagte die Zarin.
    »Nein, warten Sie, das

Weitere Kostenlose Bücher